Identität und freier Wille versus Höflichkeit und Anstandsregeln

ICH WILL! – Man sagt „Ich möchte bitte“: Über Willens- und Identitätsbildung

Ich lade dich herzlich ein, diese Gedanken zu teilen.

ICH WILL! – Man sagt „Ich möchte bitte.“

Soso. „Ich will“ darf „man“ also aus Gründen der Höflichkeit und im Rahmen guter Manieren nicht sagen?

Warum nicht? Was zur Hölle ist verkehrt daran, einen eigenen Willen zu haben? Achsooo! Als Erwachsener darf und muss man das. Wegen Erfolg im Business und so. Aha. Nun denn.

Aber warum dürfen das angeblich Kinder nicht? Weil Tante Susi meint, das gehöre sich so nicht?

Ich will aber!

Bereits Jesper Juul stellte vor Jahren fest: Es sei ein spezifisch deutsches Phänomen, „Ich will“ mit „Ich möchte bitte“ ordentlich in die Schranken zu weisen.

Aber weißt du, dass diese kleine Formulierung deiner Selbstfürsorge im Weg stehen könnte? Wie sieht’s denn bei dir aus? Weißt du, was DU WILLST? Was DUUU willst? Ich meine NICHT, was die Gesellschaft von dir will, was deine Mitmenschen von dir erwarten, was deine Mutti von dir wollte und wie dein Papi dich gerne hatte. Sondern was DU willst?

Identitäts- und Willensbildung: Haltung vor Handlung

Ihr kennt mich. Ich bin normalerweise kein Mensch, der auf einzelnen Formulierungen herumhackt. Denn ich wiederhole es allzu gerne: Es geht um unsere HALTUNG viel mehr als unsere HANDLUNG. Und selbstverständlich müssen gute Manieren und gesunde Identitätsentwicklung sich überhaupt  nicht widersprechen. Das will ich auch gar nicht sagen. (Wenn ich im Matschcafé bei meinen Kindern Sand-Latte Macchiato bestelle, mache ich es einfach höflichst vor und schau an: Auch ohne, dass ich sie korrigiere und kritisiere, drücken sie sich vornehm aus.)

Aber an diesem Floskel-Beispiel wird schön deutlich, wie unsere Haltung möglicherweise aussieht und lädt zum Reflektieren ein: Unterbinden wir nicht die gesunde Willens- und Identitätsbildung damit, dass wir ein deutliches „Ich will!“ mit „Das heißt: ich möchte bitte…“ abflachen? Kinder sind so klar. Sie wissen erstmal noch, was sie wollen und wer sie sind. Dieses Geschenk kann man dann erzieherischer Gewalt zum Fraß vorwerfen.

Oder sich stattdessen mal ein Beispiel nehmen und sich fragen: Was will denn eigentlich ich? Will ich den ganzen verdammten Tag lang Lego spielen? Oder will ich vielleicht mal lautstark für mich selbst eintreten und sagen: Schluss! Heute geh ich mit Bestie in die Stadt und umgebe mich mit Café-Geräuschen statt Kinderlärm!

Nun gut, ob das im Alltag immer so umzusetzen ist, ist natürlich die nächste Frage. Aber zumindest mal klar auf den Schirm zu kriegen, was DU WILLST und dir nötigenfalls mit einer gehörigen Portion Selbstmitgefühl zu begegnen, wenn das hinten anstehen muss, kann durchaus heilsam sein. So begleiten wir ja auch die Knirpse liebevoll durch ihren Frust. Eine ausführliche Anleitung dazu gibt’s hier: Wie reagiere ich auf große Gefühle?

Was ist meine wahre Identität?

Die Entwicklungstraumaarbeit IoPT* arbeitet z.B. gezielt an Identitätsstärkung und Willensbildung. Die zentrale Frage lautet in jedem Prozess: Wer bin ich und was will ich wirklich? Also wirklich, wirklich.

  • Hinter all den Kindheitsverschüttungen,
  • den generationsübergreifenden Traumata,
  • jenseits von meinen Überlebensstrategien
  • und ohne all die gesellschaftlichen Erwartungen?

Kurz: Wenn ich den Blick vom Außen wegnehme (Erwartungen/ die Anderen) und stattdessen schaue, was ist los bei mir im Innen (Identität/ verdrängte Gefühle)?

*Selbstbegegnungen nach der Identitätsorientierten Psychotraumatheorie- und Therapie biete ich bald an. Der Newsletter (einmal scrollen bitte) hält dich auf dem Laufenden. Mehr über das Thema Entwicklungstrauma erfährst du in Was ist ein Bindungs-/Entwicklungstrauma?

Das ist ggf. gar nicht so leicht zu beantworten. Viele von uns wurden (auch unbewusst!) konditioniert, die eigene Identität links liegen zu lassen und sich im Außen zu orientieren: Was wollen/ brauchen/ „möchten bitte“ die Anderen?

Du fragst dann vielleicht häufiger: WAS BRAUCHT MEIN KIND, um glücklich zu sein? WIE SOLL ICH SEIN, damit ich einen Partner/ eine Partnerin finde? Was tut/ fühlt man ALS GUTE MUTTER? Oder: Wie macht das EIN RICHTIGER MANN? (Auch solche Rollenzuschreibungen sind Referenzen im Außen.)

Auf der Strecke bleibt die Frage: Was brauche ICH, um glücklich zu sein?

Übung

Frag dich bewusst jeden Tag mindestens einmal: WAS WILL ICH?

Und wenn du darauf erst mal keine Antwort findest? Geduld! Der Prozess dauert manchmal mehrere Jahre, aber sich die Frage zumindest immer mal ins Bewusstsein zu holen, ist Teil des Weges.

ALLES IST DA. Alles ist in dir. Und keine kulturell geprägte Rolle, keine Instanz von außen, niemand aus der Nachbarschaft – keiner kann dir sagen, was du willst und wer du bist. Außer dir selbst. Diese innere Wahrheit wurde nur verschüttet, z.B. durch traumatische Erziehung, indirekte Erwartungen deiner Ursprungsfamilie oder weil deine Eltern aufgrund ihrer eigenen tragischen Traumageschichte (z.B. Kriegsenkel) emotional nicht/ wenig verfügbar waren.

Auf diesem Weg des inneren Wachstums und emotionaler Befreiung lehrst du übrigens dein Kind ohne Worte, das eigene Wollen zuzulassen. Denn Kinder haben immer Zugang zu unserer inneren Haltung:

Kinder tun nicht, was wir sagen.

Sie tun, was wir tun.

weltfremd.net

In diesem Sinne: JA, ICH WILL – eine Liebeserklärung an dich selbst.

Herzliche Grüße

Anne

Weiterlesen? Wie wär’s damit:

Buchtipps?

In der weltfremden Empfehlungsliste hab ich 30 Lieblingsbücher für Eltern zusammengestellt.

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Ich bin Anne, leidenschaftliche Schreiberin und immerfort lernende Mutter zweier Kinder. Süchtig nach anspruchsvollen Büchern und mit einer Schwäche für ausgezeichneten Schwarztee. Auf meinem Blog WELTFREMD setze ich mich seit 2019 für friedvoll-authentische Elternschaft ein und kläre über Entwicklungstrauma auf. ♥

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