psychisch kranke Eltern

Psychisch kranke Eltern: Wie kannst du mit deinem Kind über seelische Krisen sprechen?

Ich lade dich herzlich ein, diese Gedanken zu teilen.

Bist du oder ist dein(e) Partner(in) psychisch erkrankt oder steckt ihr in einer seelischen Krise? Fragst du dich, wie du mit deinem Kind darüber sprechen kannst? Was altersgerecht ist? Was dein Kind mitbekommt? Worüber du schweigen solltest, weil es dein Kind überfordern würde? Welche Fehler du machen kannst? Was deinem Kind schadet?

Dann bist du hier richtig. In diesem Artikel erfährst du:

  • allgemeines Wissen über gute Kommunikation mit Kindern, wenn Familienmitglieder in seelische Krisen geraten
  • Infos darüber, wie dein Kind deine Krise oder Krankheit erlebt und was es (nicht) mitbekommt
  • Beispiele zu gelungener Kommunikation
  • wertvolle Literaturtipps und zu guter Letzt
  • eine zusammenfassende Anleitung, wie euer Dialog aussehen kann

Einmal hier entlang bitte:

Aber es ist doch wohl besser, zusammen mit seinen Eltern traurig zu sein, als nachts wach zu liegen und alleine in sein Kissen zu weinen? Das Ganze wird doch nicht schlimmer, wenn man weint. Und das Weinen hört ja auch wieder auf.

Karen Glistrup, S. 55

Es gibt kein Pauschalmittel, das Kinder davor bewahrt, an den seelischen Abgründen ihrer Eltern zu leiden. Und Kinder psychisch kranker Eltern werden oft übersehen, vergessen, häufig werden ihre Bedürfnisse übergangen. Und das darf nicht sein. Wir müssen hinschauen und ihnen authentisch zur Seite stehen, damit sie mit ihrem Schmerz nicht alleine sind. Schmerz fühlen ist nicht schön. Aber Schmerz fühlen und damit emotional allein dastehen – das ist traumatisch.

Kinder psychisch kranker Eltern

Werden Elternteile labil, fehlt es Kindern an emotionaler Sicherheit. Oft übernehmen ältere Kinder die Elternrolle, aber auch kleinere fühlen sich verantwortlich oder schuldig.

  • Die 14-jährige Mia kümmert sich um die Hausaufgaben der Geschwister, weil Mama es nervlich nicht mehr schafft.
  • Luca, 10 Jahre, lebt in ständiger Anspannung, weil sein Papa täglich unkontrollierte Wutausbrüche hat.
  • Maximilian ist 6 und unterdrückt seine Angst und Wut auf die depressive Mama und bekommt davon Bauchschmerzen.
  • Die 3-jährige Klara nässt plötzlich wieder ein, obwohl sie ein halbes Jahr lang komplett trocken war.

Diese Rollenverschiebungen, Schuldgefühle, Unsicherheiten und Ängste sind eine schwere Belastung für Kinder. Und so passiert es leicht, dass ein Trauma der Eltern auf die Kinder übertragen wird – ein Teufelskreis entsteht.

Aber DU gehst voran!

Dass du diesen Text liest, heißt allerdings: Du bist mutig genug hinzuschauen. Du suchst Hilfe, du willst authentisch kommunizieren. Das ist das größte Geschenk, das Kinder in dieser Situation bekommen können. Ein wertvoller Schritt in die richtige Richtung. ♥

Nehmen wir also den Blick weg von der Frage, was für dein Kind eventuell schädlich ist. Schauen wir stattdessen dahin, wie wir eure Familie bereichern können, um an den Herausforderungen zu wachsen. Denk immer daran: Die perfekte Kindheit ganz ohne Kränkungen, Schmerzen und Probleme existiert nicht. Und die perfekten Eltern? Eine gefährliche Illusion! Ihr seid kompetent und genau richtig, wie ihr seid.

Der Umgang mit großen Gefühlen – entstehen sie nun bei einer Scheidung, bei ernsten und chronischen Krankheiten, Todesfällen oder Verliebtheit – ist kein Spezialgebiet von Psychologen und Therapeuten. Es ist hingegen ein wichtiger Bestandteil des Lebens in der Familie, und jede neue Generation hat die Chance, ihn konstruktiv zu gestalten.

Jesper Juul, in: Glistrup, S. 10.

Wie lief’s früher ab?

Vielleicht hast du selbst Eltern oder Großeltern mit psychischen Problemen? Die getrunken oder geschlagen haben? Die Beruhigungsmittel brauchten oder an Depressionen litten? Deine Ursprungsfamilie ist vielleicht ein schlechtes Vorbild in Hinblick auf die Kommunikation. Ich kann mich irren, aber richtig offen wurde das Problem sicher nicht thematisiert? Gab es auch eine Einteilung in „gute“ und „schlechte“ Gefühle? Mit der gefährlichen Idee, alles wäre besser, wenn wir „nicht weinen“ und stattdessen immer diese „guten“ Gefühle hätten?

Puh. So einfach ist das leider nicht.

Warum müssen wir offener darüber sprechen?

Kinder haben immer Zugang zum Innersten, zur Haltung, zu den Gefühlen ihrer Bezugspersonen. (Vgl. u.a. Jesper Juul, Inga Erchova etc.) Das heißt, in ihrem Unterbewusstsein spüren sie unsere Wahrheiten, selbst wenn wir sie noch gar nicht auf dem Schirm haben. (Dazu weiter unten mehr.) Sie weinen vielleicht viel, streiten mit den Geschwistern, lehnen plötzlich die Schwiegermutter ab – weil in unserem Inneren Konflikte schwelen oder wir Gefühle unterdrücken. Und das ist Bestandteil des ganz normalen Wahnsinns in einer Familie.

Exkurs: Inkongruenz

Aber Achtung! Wenn das Kind unterbewusst und nonverbal die Botschaft „Mama ist todunglücklich“ erhält, verbal aber stets gesagt bekommt: „Nein, mein Schatz, es ist nichts, mir geht’s gut.“, erhält es zwei inkongruente, also nicht zueinander passende Botschaften (= psychologisches Phänomen Inkongruenz). Dieser Widerspruch kann einen innerlich fast zerreißen. Also Vorsicht mit unehrlichen Beschwichtigungen, Verstellungen oder Schweigen!

Es ist okay, wenn es mal nicht okay ist. Du bist keine Schaufensterpuppe. Du bist Mama oder Papa aus Fleisch und Blut. Du darfst authentisch sein. ♥

Reden wir offen über das, was in unserer Familie und im Einzelnen vor sich geht, stärken wir das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung der Kinder.

Psychische Probleme

Wenn ein Elternteil nun aber in einer handfesten emotionalen Krise steckt, ist er nicht mehr ganz er selbst. Gerade für Außenstehende ist die Ursache nicht erkennbar. Kinder fragen sich: Warum weint Mama so viel? Warum hat Papa immer Kopfschmerzen und kommt nicht mehr aus dem Bett? Warum ist er abwesend? Warum flippt Mama so schnell aus?

Und selten ist dieser Fall absolut nicht! Etwa jede zweite Familie ist von einer psychischen Krankheit betroffen. Wenn du und deine Familie dazugehört, ist das also absolut nichts, wofür du dich schämen, grämen oder mit Vorwürfen belasten solltest. Es ist, wie es ist. Und ihr macht jetzt das Beste daraus.

Klar ist dabei eines: Wir müssen reden. Sowohl innerfamiliär als auch gesellschaftlich gehört das Thema raus aus der Tabuzone und rein ins Gespräch.

Neue Erkenntnisse legen nahe, dass wir mit Kindern auch über schmerzhafte Themen sprechen sollten. […] Wenn wir Kindern nicht helfen, ihre Wahrnehmungen und Gefühle zu verstehen, werden sie sich selbst um ein Verständnis bemühen. Doch wird dieses Verständnis voller ZWEIFEL, SCHAM, SCHULD, ANGST und EINSAMKEIT sein.

Glistrup, S. 31.

Aber wie?

Wie können wir mit Kindern sprechen? Wie fassen wir krankhafte Ängste, Traumata oder Depressionen in Worte?

Zunächst mal gilt wie bei der ersten Hilfe: Das Schlimmste wäre Nichtstun. Also Hauptsache reden. Du kannst keine Fehler machen. Wertfrei über Gefühle zu sprechen ist immer heilsam, sowohl für Kinder als auch für die Großen. Wenn dir die Worte fehlen, empfehle ich dir das Buch: Was ist bloß mit Mama los?* von Karen Glistrup. Ein Bilderbuch für kleine und große Kinder, für betroffene Erwachsene, ErzieherInnen und ganze Familien. Kurz, bildhaft, leicht verständlich. Wärmste Empfehlung.

Mit Kindern über psychische Erkrankung sprechen
Wie erklär ich meinem Kind, dass ich wegen psychischer Probleme manchmal komisch reagiere?

Präzise zur Sache kommen

Vielleicht neigst du dazu, allgemeine Zustände zu beschreiben, wenn du mit deinem Kind sprichst? Ich möchte dich aber ermutigen, präzise und ehrliche Begriffe zu benutzen (Panikstörung, Depression, psychische Krankheit etc.). Klar wollen wir unseren Kindern unnötige Sorgen ersparen. Und sicher musst du deinem Gefühl vertrauen, welche Erklärung für dein Kind altersgerecht und stimmig ist. Aber wenn wir uns nur vage ausdrücken und oft um den heißen Brei herum reden, werden Kinder verunsichert. Meistens verstehen sie viel früher und viel mehr, als wir annehmen. Sie haben feine Antennen dafür, wenn unsere Aussagen wenig Sinn ergeben. Stattdessen verselbstständigen sich ihre Gedanken: Sie versuchen allein, sich einen Reim auf die Dinge zu machen. Das Problem dabei? Das ist eine ziemlich einsame Angelegenheit. Und allzu oft kommt das dabei raus: Vielleicht bin ich schuld daran, dass es Mama oder Papa schlecht geht?

Hier kommen ein paar fiktive Gespräche. Vielleicht inspirieren sie dich:

Angst und Depressionen

Sarah ist die Mutter der 5-Jährigen Leni. Sie hat Depressionen und eine Angststörung. Sie erklärt Leni:

„Nachts kann ich nicht schlafen, obwohl ich soo müde bin. Meine Gedanken halten mich wach. Am Tag denke ich so oft, was ich nur für eine schreckliche Mama bin! … und manchmal, da sitze ich da, und habe furchtbare Angst. Obwohl es eigentlich nichts im Hier und Jetzt gibt, wovor ich mich fürchten müsste. Aber meine Gedanken sind ganz sicher, dass es gefährlich ist.

Ständig bin ich traurig, obwohl unser Leben doch so schön ist, oder? Obwohl wir doch so eine gute Familie sind. Und das merkt auch mein Körper: Ich habe Herzklopfen und meine Muskeln sind immer verspannt und tun weh.

Bisher dachte ich, es wäre klüger, dir das nicht zu erzählen. Aber dann hast du auch Bauchschmerzen bekommen. Stimmt’s? Du hast gemerkt, dass etwas mit mir nicht in Ordnung ist. Hast du dich allein gefühlt? Dir Sorgen gemacht?

Ich bin jetzt bei einer Therapeutin in Behandlung. Sie ist so eine Art Ärztin für die Seele. Sie wird uns helfen. Dann bin ich irgendwann hoffentlich auch nicht mehr so empfindlich und reizbar …“

Was ist eine psychische Krankheit?

„Die Psyche, das ist das, was ganz tief in uns drinnen ist. Hinter den Gedanken. Hinter den Gefühlen. Vielleicht könnten wir auch Seele sagen? Alle Menschen haben andere Gedanken, einen ganz besonderen Geist.

Ob ich traurig oder fröhlich bin, wütend oder angespannt: Das sind die Gefühle. Und wenn die Gefühle immer wieder ins Ungleichgewicht geraten, das nennt man psychische Krankheit. Manche wollen nicht mehr aus dem Bett oder können nicht still sitzen. Oder flippen aus, wenn Kinder laut lachen. Einige sehen oder hören Dinge, die gar nicht da sind. Früher hat man gesagt, sie sind verrückt.

Mit psychischen Krankheiten ist das Leben nicht mehr so schön. Das Leben fühlt sich am besten an, wenn die Psyche gesund ist. Genau so wie der Körper. Der fühlt sich mit heilen Knochen und kräftigem Atem auch besser an als mit Gipsfuß oder Husten, nicht wahr?“

Bin ich schuld?

Richards Mama Yvi ist ständig traurig und muss sich andauernd ausruhen. Sie schimpft auch mit ihm. Ungerechtfertigt. Viel zu oft. Sein Papa Sven erklärt ihm eines abends:

„Richard, bestimmt hast du gemerkt, dass Mama in letzter Zeit oft gereizt ist. Weißt du, du bist trotzdem unser allergrößter Schatz. Mama hat eine Krankheit im Kopf. Da sitzt eine Art Monster drin. Kennst du das? Weißt du, wann es rauskommt? … Genau. Wenn Mama schimpft und schreit. Sie ist jetzt bei einem Arzt, der ihr helfen wird, gegen dieses Monster anzukämpfen. Dann wird sie sicher bald auch weniger schimpfen. Denn sie liebt dich. Und sie weiß, dass du ein guter Junge bist. … Ob du Schuld bist? NEIN! Auf keinen Fall! Es ist sehr schwer herauszufinden, wer oder was an dieser Krankheit Schuld ist. Aber darum kümmert sich jetzt der Arzt, weißt du? Wir sorgen dafür, dass es bald besser wird. Wenn du traurig oder unsicher bist, kannst du jederzeit mit uns reden. Wir sind für dich da.“

Welche Ursachen haben psychische Krankheiten?

Saskias Therapeut behandelt sie wegen eines Burnouts. Ihre Tochter Frida ist 8 und darf heute mit dabei sein und ihre Fragen stellen. Er erklärt ihr:

„Wenn die Psyche krank wird, kann das ganz verschiedene Ursachen haben. Das wichtigste ist: ES SIND NIEMALS DIE KINDER SCHULD. Okay? Niemals, auch du nicht. Darauf kannst du vertrauen.

Manche Menschen können es nicht gut verarbeiten, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Einige Mamas kämpfen mit seelischen Schmerzen, wenn sie ein Baby geboren haben. Es gibt auch Menschen, die haben einen Hang zu übertriebener Traurigkeit oder Wut vererbt bekommen. Auch Stress kann die Seele krank machen. Manche werden auf Arbeit gehänselt. So war das bei deiner Mama.

Aber die meisten, die zu mir kommen, haben sehr sehr traurige Kindheitserfahrungen gemacht. Und solche haben wir bei deiner Mama auch entdeckt. Wir versuchen jetzt, ihre traurigen Erfahrungen in eine neue Stärke zu verwandeln. Damit ihr zusammen euer Leben wieder genießen könnt. Wie geht es dir damit?“

Trauma, Panik, PTBS

„Die gesunde Seele ist ziemlich anpassungsfähig und fehlertolerant. Wenn ein Mensch aber einen Schock, eine gefährliche Bedrohung oder einen Unfall erlebt, kann seine Seele starr und schwächer werden. So wie die Haut nach einem tiefen Schnitt eine Narbe davonträgt, können auch die Gedanken und Gefühle unangemessen ausfallen, wenn ein Mensch mit einem schweren Traumaerlebnis auf eine bestimmte Weise gereizt wird. So eine Sinnesverwirrung heißt Posttraumatische Belastungsstörung.“

Kinder, die mit traumatisierten Eltern zusammenleben, spüren die Angst und Unruhe der Eltern quasi am eigenen Leib. Wir sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass Kinder ein sekundäres Trauma davontragen. Mit traumatisierten – oder sekundär traumatisierten – Kindern kann sich das Miteinander schwierig gestalten. […] Die kindlichen Reaktionen können als Überlebensstrategie des Nervensystems gedeutet werden. […] Das Kind weiß selbst nicht, was da geschieht. Versuchen Sie, das Kind jenseits seines Verhaltens zu erblicken. […] Traumata leben oft über mehrere Generationen fort. Darüber zu reden kann ein Akt der Befreiung sein.

Glistrup, S. 27.

Wenn du von einer PTBS betroffen bist und dein Kind Symptome zeigt (unklare Schmerzen, auffälliges Verhalten, Einnässen etc.), empfehle ich professionelle Begleitung. Über die Symptome zu sprechen, ist vergeudete Zeit und kann dein Kind demütigen oder verunsichern. Ein herzenswarmer Dialog über seine Gefühle und ehrliches Interesse an seiner Welt wirken dagegen Wunder.

Björn erklärt seiner Tochter Pia:

„Als Soldat habe ich miterlebt, wie mein Freund von einer Bombe getötet wurde. Das ist zwar schon ewig her, aber ich sehe immer noch ständig diese Bilder vor mir. Mein Kopf und mein Herz sind noch so verwirrt von den schrecklichen Dingen im Krieg, dass ich manchmal so reagiere, als wäre ich immer noch in Gefahr. Ich weiß, du bekommst es auch mit der Angst zu tun, wenn ich plötzlich schreiend aufwache in der Nacht. Das tut mir leid.“

Sandra spricht ihrem Sohn Finn:

„Als Kind hat mir ein Mann Schlimmes mit seinem Penis angetan. Ich hab dann als kleines Mädchen gedacht, Männer sind immer schlecht und ihre Geschlechtsteile ganz böse. Obwohl das natürlich nicht stimmt! Ich weiß, dass Papa und du gut seid und ich bei euch sicher bin. Aber manchmal reizt mich irgendetwas, ein Geruch oder eine Geste. Und dann bilde ich mir plötzlich ein, ich wäre wieder wie als kleines Mädchen in Gefahr. Dann reagiere ich mit Angst oder Ablehnung. Das tut mir sehr leid, Finn. Es hat nichts mit dir zu tun. Das ist meine Krankheit. Die Therapeutin nennt sie posttraumatische Belastungsstörung. Wie arbeiten daran, dass die Angst kleiner wird.“

Mehr dazu, wie du mit Kindern präventiv über das Thema Missbrauch sprechen kannst, erfährst du in: Wie schütze ich mein Kind vor Missbrauch?

Stoffgebundene Sucht (Alkohol, Drogen)

Fast jede Familie hat ein Mitglied mit einem Drogen- oder Alkoholproblem. Scham und Minderwertigkeitsgefühle sorgen für ein bleischweres Tabu. Dabei wachsen 2,65 Millionen Kinder mit Eltern auf, die ein Problem mit Alkohol haben. Auch Haschisch oder Beruhigungspillen sind problematisch – diese Substanzen funktionieren als Überlebensstrategie. Zulasten der Kinder. Denn wenn Rausch- oder Beruhigungsmittel die unerträglichen Gefühle abstellen, sind Eltern emotional nicht mehr erreichbar für ihre Kinder. In etwa wie in einer künstlichen Dissoziation.

Warum trinkt Opa zu viel?

„Er bekämpft seine innere Unruhe und Anspannung. Am Anfang war es sicher angenehm für ihn, die schlechten Gefühle auszuschalten. Er hat sich dann besser gefühlt. Aber inzwischen trinkt er regelmäßig so viel, dass er manchmal dumme Dinge tut oder sagt. Und auch so viel, dass sein Körper darunter leidet.“

Wie viel bekommt mein Kind mit?

Wir machen uns etwas vor, wenn wir meinen, die Kinder wüssten nicht, dass es uns schlecht geht. Sie haben die feinsten Antennen und jederzeit unbewusst Zugang zum Innersten ihrer Eltern. Diese Antennen sind ihre Spiegelneuronen. In der Regel erfassen sie genauer und schneller, was in dir und zwischen euch abläuft, als es dir bewusst ist.

Indem du offen über das Problem sprichst, hilfst du deinem Kind zu unterscheiden, was deine und was seine Gefühle sind. Manche Kinder brauchen Hilfe dabei zu verstehen, dass sie fröhlich sein dürfen, obwohl ein Elternteil immer traurig ist. Ausführliche Tipps, wie du deinem Kind bei diesem Abgrenzungsprozess helfen kannst, findest du in Glistrups Buch: Was ist bloß mit Mama los?*

Kinder fragen NICHT von selbst nach, wenn wir nicht mit ihnen darüber reden!

Wenn du beispielsweise Beziehungsprobleme hast und zu einer Paartherapie gehst – erzähl deinem Kind davon. Es hat längst bemerkt, dass die Kacke am Dampfen ist. Es wird beruhigt sein, wenn es erfährt, dass jemand Professionelles hilft.

Hier ein paar allgemeine Regeln für ein gutes Gespräch:

  • Egal wie: TU es! Sprich darüber.
  • Es ist okay, wenn du Angst davor hast, dein Kind traurig zu machen. Aber bleibe ehrlich, authentisch, du selbst und offen. Du bist wertvoll und gut. Dein Kind auch. Egal, mit welchen Problemen ihr gerade zu kämpfen habt.
  • Sei deutlich: Erzähle, was du weißt, woher du es weißt, was du nicht weißt, was dir Sorgen macht.
  • Sei gegenwärtig: Lass dich nicht ablenken, verfolge kein bestimmtes Ziel für die Zukunft. Widme dich den Dingen, wie sie sind, ohne zu urteilen, ohne verändern zu wollen.
  • Vertraue deinem Kind, dir selbst und deiner Familie als Ganzes: Erkennt eure Gefühle an, seid freundlich und vertraut einander. Von Herzen.
  • Lass dich mehr von deinem Herzen, als von deinem Verstand leiten.
  • Sei geduldig: Verlange nicht zu viel von dir und deinem Kind und Partner(in). Große Probleme lassen sich nicht über Nacht lösen.
  • Professionelle Begleitung fürs Gespräch ist keine Schande. Ihr seid die besten Eltern, die euer Kind haben kann, so oder so. ♥

Kindermund und die Frage nach der Wahrheit

Emanuel, 14 Jahre alt sagt: „Am besten geht es mit denjenigen, die glauben, dass Kinder vielleicht etwas wissen, das Erwachsene nicht wissen.“

Matthias, 12 Jahre alt sagt: „Es ist gut, wenn sie begreifen, dass man traurig sein kann, auch wenn man sich dumm benimmt. Gar nicht gut ist es, wenn man ausgeschimpft wird, obwohl man traurig ist.“

Madeleine, 5 Jahre alt, sagt: „Es ist doof, wenn sie sagen, dass ich zu klein bin, um es zu verstehen. Ich verstehe es wohl!“

Glistrup, S. 53.

Die Vorstellung, dass dein Kind Schmerz erfährt, scheint dir vielleicht unerträglich, und du fragst dich: Muss es unbedingt die Wahrheit erfahren?

Darauf gibt es nur eine Antwort: Ja. Dein Kind hat das Recht, offen mit dir als vertrauenswürdigen Erwachsenen zu sprechen. Es braucht die Gewissheit, dass seine Familie alle Gefühle – Ohnmacht, Trauer, Verzweiflung – miteinander teilt.

Kinder werden nie alt genug sein, um den Schmerz zu ertragen. Doch sie sind stets alt genug, um Schuld zu empfinden sowie das Gefühl […] allein gelassen zu werden.

Glistrup, S. 55.

Ich wünsche dir und deiner Familie von Herzen alles Gute.

Deine Anne

PS: Wenn du psychologische Beratung brauchst oder dich für die Selbstbegegnung nach Identitätsorientierter Psychotraumatherapie interessierst, kannst du dich gerne an anne@weltfremd.net wenden.

PPS: Kennst du andere Eltern oder PädagogInnen, die dieser Text interessieren könnte? Leite ihn gerne weiter und hilf damit Kindern, dass sie mit ihren Sorgen nicht mehr so allein dastehen: weil jemand offen mit ihnen spricht. ♥

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Kommentare (4)

  • Hallo,
    Ich habe vor etwa 10 Jahren die Diagnose mittelschwere bis schwere, rezidivierende Depressionen, sowie leichte emotional-instabile Persönlichkeitsstörung bekommen.
    Seitdem bin ich in psychiatrischer Behandlung und die depressiven Episoden sind deutlich weniger und schwächer geworden. Im Frühjahr, während dem lockdown hat es mich mal wieder erwischt.
    Meine Kinder sind 4 und 7 Jahre. Generell wissen sie, dass ich immer mal zum Arzt muss und mich regelmäßig mit einer Frau zum Reden treffe und sie sehen, dass ich Medikamente nehme. Stellen sie hierzu Fragen warum ich zum Arzt muss, was für Medikamente ich nehme oder ähnlich erkläre ich ihnen, dass ich eine Krankheit habe, die mich ganz traurig und ganz lustlos und müde werden lässt, so dass ich ganz viel weinen muss und gar nicht mehr lachen kann und es mir ganz schwer fällt überhaupt nur aufzustehen und mich um irgendwas zu kümmern. Bisher haben sie dass dann so stehen lassen. Maximal gefragt ob ich jetzt traurig oder krank bin. Dann hab ich das entsprechend dem ist Zustand beantwortet. Als ich im Frühjahr depressiv war haben wir ihnen dann auch gesagt, dass ich krank bin und deshalb zb Weine, obwohl ich gar nichts weiß, was mich so traurig macht.
    Und sag ihnen dabei auch dass sie toll sind und sie auch nichts gemacht haben, weshalb ich krank bin.
    Verliere ich die Kontrolle und schreie sie an oder haue oder schubse sogar, entschuldige ich mich und erzähle ihnen auch, dass ich mich regelmäßig mit jemandem treffe, damit mir das weniger passiert Und dass das nicht ok ist, wenn ich mich so verhalte,… ich erkläre, dass ich manchmal, wie zb momentan in der Corona Situation, ganz doll nervös bin deshalb auch schlecht schlafe und mich vieles schnell aufregt.
    Wir haben ein „wutthermometer“ gemalt, da kann ich ihnen zeigen, dass meine Grundstimmung momentan generell schon näher an dem Punkt ist, wo ich die Kontrolle verliere, als normalerweise und mir das zur Zeit deshalb schneller und öfter passiert, bei Dingen, die mir sonst nichts gemacht haben. Und dass ich deshalb auch mehr Zeit für mich brauche, damit das Thermometer wieder sinken kann.
    Mein bisheriger Eindruck ist, dass das für sie ok so ist, zumindest kann ich nichts gegenteiliges beobachten.

    • Liebe Uta,
      von Herzen danke, dass du uns teilhaben lässt an deiner Geschichte. Es ist schön zu lesen, dass die Kommunikation auf gute Weise gelingen kann und damit den Kindern ein großer Batzen an Last genommen wird, einfach indem die Erwachsenen die Verantortung übernehmen. Ich wünsche dir von Herzen alles Gute auf deinem Weg. ♥
      Alles Liebe
      Anne

  • Hallo,

    Vielen Dank für den aufklärenden Artikel. Ja, in einer akuten psychischen Krise ist es sehr schwer die richtigen Worte zu finden. Wenn aber Eltern schon eine Diagnose haben und in Behandlung sind, ein soziales Netzwerk und ein Betreuer, dann ist schon viel Unterstützung da. Ich wusste nach meinem 2ten Sohn nicht, dass ich eine Depression hatte. Ich muss dazu sagen dass ich während der 2 Schwangerschaft eine Psychose hatte, es war ein Tohuwabohu in meinem Leben. Und dann mit Medikamenten runtergefahren und eine Depression von den Psychopharmaka bekommen. Es war die Hölle. Aber das ist Gott sei Dank vorbei. Die Kinder lieben ihre Eltern immer. Das macht mich demütig und dankbar. Und die Gewissheit, dass nach der Erschwerniss die Erleichterung kommt. Bei uns ist das nicht Dauerthema mit der psychischen Krankheit. Aber wenn es mal wieder akut werden sollte, dann sagen, Mama braucht Hilfe und kackt ab im Alltag. Das hat aber nichts mit den Kindern zu tun. Das macht müde wie ein paar Monate Dauerfieber, aber ich hole Arzt und Hilfe. Wir sind nicht allein damit. Und es war ja auch gut, und es wird wieder gut. Geduld geduld. Alles Liebe!!

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Ich bin Anne, leidenschaftliche Schreiberin und immerfort lernende Mutter zweier Kinder. Süchtig nach anspruchsvollen Büchern und mit einer Schwäche für ausgezeichneten Schwarztee. Auf meinem Blog WELTFREMD setze ich mich seit 2019 für friedvoll-authentische Elternschaft ein und kläre über Entwicklungstrauma auf. ♥

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