kleinkind weint beim abschied

Abschiedsschmerz: Wie verabschiede ich mich von meinem Kleinkind?

Ich lade dich herzlich ein, diese Gedanken zu teilen.

Du würdest gerne mit deiner Freundin mitgehen – denn die steigt gleich in den Flieger nach Mallorca und wird es sich zwei Wochen gut gehen lassen. Kannst du aber nicht. Es fühlt sich deswegen trotzdem nicht wie das Ende der Welt für dich an.

Wenn du dich aber von deinem Kleinkind verabschiedest, weil du eine halbe Stunde in der Stadt etwas zu erledigen hast, findest du dich immer wieder in herzzerreißenden Trennungsszenen wieder? Für dein Kind ist der Abschied gefühlt tatsächlich das Ende der Welt.

Schauen wir uns in diesem Artikel an:

  • wie du dich verhalten kannst, wenn du dich verabschiedest
  • und wie du dich verhalten kannst, wenn du nach einem Abschied mit (d)einem Kind zurückbleibst

Wie geht es DIR mit dem Drama?

Schauen wir zuerst wie immer auf dich und deine Gefühle: Was löst der Tränenausbruch deines Kindes bei dir aus? Kommt Wut auf? Übermannt dich Mitleid? Empfindest du Empathie und Mitgefühl? Wirst du unwirsch, bist du genervt? Willst du fliehen? Willst du deinem Kind den Mund stopfen oder sofort die Tränen trocknen?

(Fühlst du dich schuldig am Leid deines Kindes, kann es sogar sein, dass du seine Gefühle leugnest. Lies mehr zu schlechtem Gewissen bei Müttern hier und über die Gefahren von geleugneten Gefühlen hier.)

Und wie fühlt sich dein Körper dabei an? Werden die Schultern hart? Entsteht Enge in der Brust? Atmest du gepresst? Liegt die Stirn in Falten? Schau achtsam hin und fühle nach.

Holt uns die Vergangenheit ein?

Deine Reaktion auf Gefühle und Verhalten des Kindes lässt Rückschlüsse auf deine eigene Vergangenheit zu. Intuitiv handeln wir oft so, wie wir selbst (vorrangig) als kleine Kinder behandelt wurden. Mehr dazu in: Hitler im Herzen – Erziehung und Trauma.

Wurdest du andauernd dazu angehalten, dein Jammern und Maulen zu unterdrücken? Dann kann es sein, dass du nun gereizt auf das Nörgeln und Quengeln deines Kindes reagierst. Triggert das Weinen eigene alte Verletzungen? Dann fällt es dir womöglich schwer, die Tränen deines Kindes angemessen zu beantworten und zu begleiten.

Dabei sind beide Extreme denkbar: dass du massiv mitleidest und in deiner Brust einen überwältigenden Schmerz fühlst oder auch dass du dich emotional auf Eis stellst und dein Kind kaltherzig abweist.

Beides sind ungesunde Reaktionen. Ein gesunder Umgang mit den Gefühlen deines Kindes ist die – man kann es nicht oft genug betonen – wichtigste Grundlage dafür, dass es langfristig ein glückliches Leben führen kann, oder anders: dass es seelisch gesund bleibt. Lies deshalb gerne auch den Beitrag: Wie gehe ich mit großen Gefühlen meines Kindes richtig um?

Tipp am Rande: Wenn du stark unter dem Weinen deines Babys leidest, empfehle ich das warmherzige Buch von Thomas Harms: Keine Angst vor Babytränen. Wie Sie durch Achtsamkeit das Weinen ihres Babys sicher begleiten.*

Stichwort Achtsamkeit

Kennst du diese herausfordernden Situationen, in denen du den Stress körperlich spürst, dich überwältigt fühlst und kurz vorm Ausrasten oder Weglaufen bist? Hier hilft Achtsamkeit, in Kontakt mit dir selbst zu bleiben.

In der Akutsituation ist das zu Beginn unglaublich schwer. Wir werden schneller von Emotionen und Kurzschlüssen übermannt, als uns lieb ist. Aber wenn du regelmäßig im Alltag an kleinen Situationen übst, wird es mit der Zeit leichter. Wenn du zum Beispiel merkst, wie Gereiztheit oder Genervtheit in dir aufsteigen, frage dich bewusst: Wie geht es mir? Wie fühlt sich mein Körper an? Atme tief ein und aus. Frage dich: Was brauche ich? Wo habe ich vielleicht meine Grenze überschritten? Wo habe ich meine eigenen Bedürfnisse ignoriert?

Mach das Experiment zum Spaß drei Wochen lang täglich: irgendwann im Alltag kurz innehalten und diese Mini-Achtsamkeitsübung durchführen. (So lange brauchen wir in der Regel, um uns an Neues zu gewöhnen.) Danach wirst du immer häufiger auch in emotional schwierigen Situationen besser bei dir bleiben können.

Konkret heißt das …

Du hältst dein Kind im Arm, das im Abschiedsschmerz völlig aufgelöst ist. Atme dabei tief ein und aus und frage dich bewusst: Wie geht es mir? Was löst das in mir aus?

Du wirst staunen, wie allein das deine Muskeln entspannt. Und ich garantiere dir: Du wirst noch mehr staunen, in wie vielen Situationen nichts weiter als diese kleine Sache dein Kind tröstet. Es braucht nicht immer Worte.

Halten, atmen, aushalten. Repeat.

Achtsamkeit bringt dich in den Kontakt mit deinem körperlichen Selbst zurück. Die Ruhe kann sich dann auf dein Kind übertragen (oder es nicht noch weiter aufbringen). Vergiss nicht, dass Kleinkinder und Babys unsere Emotionen wie Schwämme aufsaugen.

Hast du vielleicht selbst Angst vor dem Abschied von deinem Kind? In dem Fall kann es sein, dass du dein Kind zusätzlich belastest. Dann neigst du möglicherweise dazu, übertrieben dramatisch zu reagieren. Wenn du aber das Leid deines Kindes ignorierst, hilft ihm das auch nicht – es braucht einen angemessenen Spiegel. (Dazu gleich mehr.) Der kannst du nur sein, wenn du mit dir und deinen Gefühlen erst mal selbst im Reinen bist.

Wenn du gehst

Okay. Kommen wir zu Sache.

Was tun also, wenn du gehen musst/ willst?

Heimlich gehen?

Ist es nicht irgendwie verlockend, sich wegzuschleichen? Wenn ihre Oma geht, sorgt das bei meiner Nichte regelmäßig für überwältigende Tränenausbrüche. Also: Wie wäre es, wenn Oma heimlich heimgeht, während die Nichte gerade vertieft spielt? Dann sparen wir uns doch das Drama?

O, o, böse Falle. Die Oma spart sich das Drama, ja. Aber für das Kind ist der Trick schlimmer als die ehrliche Trennung. Ein Kind fühlt sich langfristig sicherer, wenn sein Umfeld möglichst berechenbar ist. Ist es die Regel, das geliebte Bezugspersonen unerwartet verschwinden? Dann kann sich dein Kind nicht mehr entspannt ins Spiel vertiefen, sondern wird unsicher und misstrauisch.

Oder schwindeln?

Einfach behaupten, du wärest nur 10 Minuten weg? Das ginge ja ganz schnell? Auch unfair. Entweder wird dein Kind dir mangels Authentizität nicht mehr glauben. (Aufrichtigkeit first!) Oder es wird völlig verwirrt in der Entwicklung seines Zeitempfindens.

Es ist grundsätzlich schädlich, wenn die Empfindung des Kindes („es dauert lange“) von Erwachsenen negiert oder falsch benannt wird. („Ach, das ist doch nicht schlimm!“, „Das geht ganz fix!“, „Das wird nicht wehtun!“)

Es schwächt das Selbstwertgefühl und die Instinkte des Kindes. Und ich weiß: Das ist absolut nicht dein Ziel.

Auf Augenhöhe mit deinem Kind

Es zeugt von Respekt dem kleinen menschlichen Wesen gegenüber, sich aufrichtig und entschlossen zu verabschieden. Wenn du ruhig und positiv bist, fühlt sich dein Kind am sichersten.

Dabei ist es wichtig, das Kind angemessen zu spiegeln. Wie geht das? Nimm das Gefühl an und benenne es für dein Kleinkind. Umarme dein Kind und sage ihm so etwas in der Richtung: „Dir gefällt es überhaupt nicht, wenn ich gehe. Es macht dich ganz traurig, nicht wahr? Wir sehen uns heute Abend wieder.“ Und dann geh.

abschiedsschmerz beim kleinkind
Wie verabschiede ich mich richtig? Wie begleite ich den Abschiedsschmerz?

Wenn du mit dem Kind zurückbleibst

Was sollst du nun tun, wenn du mit dem aufgelösten Kind zurückbleibst? Papa, Oma, Mama, Tante – wer auch immer gerade für den Weltuntergang gesorgt hat – ist gegangen und du willst dein Kind, dein Enkelchen begleiten.

Mach dir als erstes klar, dass die Emotionen des Kindes durchaus angemessen sind. Abschied ist nun mal schwer. Besonders dann:

  • wenn man noch keine hinreichende Flexibilität entwickelt hat,
  • wenn das Bindungssystem aktiviert ist,
  • wenn man Verlustängste hat,
  • wenn man kaum Frustrationstoleranz hat.

Ein geliebter Mensch geht – das ist halt traurig. Punkt. Erinnere dich daran, wie es sich einmal für dich angefühlt hat, als du dachtest, ohne einen bestimmten Menschen nicht leben zu können. So fühlt ein Kind in der Situation.

Dem Kind zu sagen „Weine nicht!“, „Ist doch nicht schlimm!“, „Jetzt beruhige dich mal!“ oder „Stell dich nicht jedes Mal so an!“, ist völlig fehl am Platz. Emotionen absprechen und zur Verdrängung von Gefühlen zu erziehen, ist für die seelische Gesundheit des Kindes der absolute Killer. (Psychotherapeuten arbeiten tagtäglich mit diesen Klienten: Als Kind haben sie gelernt, ihre Tränen zu unterdrücken und später kommen sie mit Zwängen, Depressionen oder Übergewicht in Therapie, um das Fühlen wieder mühsam zu „erlernen“.)

Gefühle aushalten

Halte die Gefühle stattdessen liebevoll aus (am besten mit Körperkontakt, wenn das Kind will). Spiegle sie, indem du sie benennst und einordnest. Zum Beispiel so: „Mensch, bist du aber traurig darüber, dass der Papa auf Arbeit gegangen ist. Du vermisst ihn jetzt schon schrecklich, was? Magst du kuscheln, bis es dir besser geht?“

Während du den Gefühlsausbruch des Kindes begleitest, schau auch hier achtsam auf dein eigenes Unbehagen. Versuche ruhig zu bleiben und lass das weinende Kind nicht allein. Die Emotion zu negieren, das Kind abzulenken, wird unter Umständen die Situation verschlimmern. Sei mit Ablenkungen behutsam und setze sie nur ein, wenn das Kind bereit ist – wenn es von seiner Traurigkeit nicht mehr überwältigt ist.

Wenn du die „Aufmunterung“ zu früh anbietest:

  • kann es noch mehr Tränen geben
  • kann das Kind das Ereignis nicht angemessen verarbeiten und nicht daran wachsen
  • das Kind fühlt sich evtl. nicht ernst genommen

Ich rate dringend von Süßigkeiten oder generell Essen als Trost ab!

Das ist eine gefährliche Ersatzbefriedigung. Ein wahres Bedürfnis – das nach Angenommensein und nach Trost – wird nicht erfüllt. Stattdessen prägen wir das Kind perspektivisch auf Frustfressen. Jede Ablenkung, die zu früh eingesetzt wird, ist im Grunde eine Ersatzbefriedigung. Sie schwächt die Instinkte des Kindes und verbaut ihm einen wichtigen Lernprozess: Wie fühle ich und was brauche ich?

Viele Erwachsene können das heute nicht mehr: Sie haben nach einem stressigen Arbeitstag das Gefühl, sie hätten Heißhunger auf Schokolade oder bräuchten jetzt dringend 5 Freunde und 3 Bier. In Wirklichkeit fühlen sie sich und ihr echtes Bedürfnis nicht mehr. Das ist möglicherweise Ruhe und Entspannung oder eine Umarmung.

Wenn ein Kind seine Gefühle zeigen durfte, ohne bewertet zu werden, dann kann es den Abschiedsschmerz gut verarbeiten. Danach wird es auch aufgeschlossen reagieren, wenn du ihm eine aufmunternde Spielidee unterbreitest.

In Kürze zum Schluss

Gefühl aushalten, wertfrei benennen und einordnen, Körperkontakt/ Streicheln/ Dasein anbieten, abwarten und dann etwas Schönes spielen/ gemeinsam kochen/ vorlesen etc. Damit machst du jedem Kind ein wahres Geschenk.

Als Faustregel kann gelten:

Erst die schmerzhaften Emotionen komplett rauslassen, um danach das Gute wieder einzulassen.

Freuen wir uns also mit unseren Kindern, wenn sie noch ganz bei sich sind und Gefühle und Körper ehrlich wahrnehmen. Wir können uns einiges von ihnen abschauen und dank ihrer Gefühlsausbrüche viel über uns selbst lernen.

Betrachten wir deshalb einen „schwierigen“ Abschied nicht als Problem, sondern als ein Geschenk, mit dessen Hilfe wir Achtsamkeit und einen gesunden Umgang mit Gefühlen lernen können. ♥

Gefühlvolle Grüße

Anne

PS: Kennst du noch andere Kinder, denen der Abschied schwerfällt? Dann leite ihren Liebsten doch diese Anleitung weiter. Sie wird ihnen guttun. 🙂

Literatur:

Perry, Philippa: Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen (und deine Kinder werden froh sein, wenn du es gelesen hast), Ullstein 2020.*

Harms, Thomas: Keine Angst vor Babytränen. Wie Sie durch Achtsamkeit das Weinen Ihres Babys sicher begleiten, Psychosozial-Verlag 2019.*

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Ich bin Anne, leidenschaftliche Schreiberin und immerfort lernende Mutter zweier Kinder. Süchtig nach anspruchsvollen Büchern und mit einer Schwäche für ausgezeichneten Schwarztee. Auf meinem Blog WELTFREMD setze ich mich seit 2019 für friedvoll-authentische Elternschaft ein und kläre über Entwicklungstrauma auf. ♥

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