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Teil I: Bedingungslose Liebe zeigen ohne Strafen und Belohnen

Ich lade dich herzlich ein, diese Gedanken zu teilen.

Dein fünfjähriger Sohn wollte heute Morgen die Erdbeeren nicht mit seiner Schwester teilen. Stattdessen hatte er sie schon vor dem Frühstück alleine aufgefuttert. Das geht so nicht! Er muss lernen, dass Teilen wichtig ist. Als natürliche Konsequenz für sein Verhalten, bekommt er nun nach dem Essen keinen Fruchtjoghurt. Fürs nächste Mal wird er sich das merken.

Dein Erziehungsziel hast du immer klar vor Augen: Dein Kind soll ein selbstbewusster, glücklicher Erwachsener werden, der moralisch handelt, mitfühlend ist, Erfolg hat, gesunde Beziehungen zu anderen Menschen pflegt. Du gibst jeden Tag alles dafür!

Aus bedingungsloser Liebe zu ihm.

Denn eins ist dir vom Gefühl her klar: Die braucht dein Kind. Mehr als alles andere.

Und da gibt dir die aktuelle Forschung einstimmig Recht: Um zu starken, gesunden und vernünftigen Erwachsenen zu reifen, brauchen Kinder bedingungslose Liebe wie die Luft zum Atmen.

Easy. Denkst du jetzt. Ich liebe mein Kind bedingungslos. Egal, was es für Blödsinn verzapft, es kann sich meiner Liebe sicher sein.

Ja, das denken wir alle.

Jetzt kommt aber etwas Blödes: Dein Kind sieht das nicht wie du.

Bäm.

Bitte was? Das stimmt doch nicht!

Ganz der Reihe nach.

Lies bitte nur weiter, wenn du mutig genug bist, dich mit deinen eigenen Glaubenssätzen zum Thema Elternliebe und Erziehung kritisch auseinanderzusetzen.

Spoiler: Dieser Text könnte dein Weltbild zerstören.

So wie es das Buch Liebe und Eigenständigkeit* von Alfie Kohn mit den Vorstellungen vieler liebevoller Eltern in den USA und auf der ganzen Welt getan hat.

Bereit? Dann kommt hier die Glaubenssatz-Abrissbirne. In diesem Artikel erfährst du:

  • Warum Kinder unbedingt bedingungslose Liebe von ihren Eltern brauchen
  • Warum du dein Kind aktuell eben nicht bedingungslos liebst
  • Den ultimativen Schlüssel dazu, wie du deinem Kind bedingungslose Liebe zeigen kannst

Auf geht’s.

Warum Kinder bedingungslose Liebe wie die Luft zum Atmen brauchen

Damit dein Kind zu einem starken Menschen heranwächst, braucht es vor allem eins: Ein grundsätzlich positives Selbstkonzept. Das heißt nicht, eingebildet, rücksichtslos und selbstverliebt zu werden.

(Lies mehr zum Thema Narzissmus durch fehlende Mütterlichkeit hier: Hör auf, eine gute Mutter sein zu wollen!)

Ein stabiles Selbstwertgefühl meint ein differenziertes Bild von sich selbst – ein Bewusstsein über Stärken und Schwächen und ein Sich-selbst-annehmen in grundsätzlich bejahender Form.

Ein Mensch mit gutem Selbstwertgefühl nimmt alle seine Gefühle an und macht seinen Wert nicht von Leistungen, wie Schönheit, Karriere oder Schulnoten abhängig. Kurz gesagt: Er liebt sich selbst so, wie er ist.

Das ist, was du deinem Kind wünschst. Deshalb motivierst du es, bringst ihm anständige Manieren bei und lobst es, wenn es Fortschritte gemacht hast und sagst ihm häufig, dass du es liebst.

Tut mir leid. Aber da liegen ein paar Fallstricke begraben. Du tust versehentlich Dinge, die genau das Gegenteil von dem erreichen, was du willst.

Ein altes Erziehungskonzept

Aus dem Bereich des Behaviorismus (Verhaltensforschung) kommt eine wahnwitzige Idee: Wir betrachten den Menschen nicht als Individuum, das aus subjektiven Beweggründen und spezifischen Motiven heraus handelt. Sondern wir betrachten nur das Verhalten des Menschen und konditionieren ihn wie einen Hund mit Zuckerbrot und Peitsche dazu, sich nach unseren Wünschen zu verhalten.

Der Vorreiter dieser Idee war der US-amerikanische Psychologe B. F. Skinner. Angewandt auf Kinder bedeutet diese Logik: Wir sehen kein Kind. Wir sehen das Verhalten eines Kindes. Wir beobachten dieses Verhalten und verstärken es, wenn es – nach unserer Meinung – positiv war. Und wir unterdrücken es mit Strafen, wenn es uns missfallen hat.

Theoretisch folgen dem: Gehorsam, gute Manieren, Hilfsbereitschaft, Fleiß und sonst was für Tugenden.

Und praktisch? Schauen wir uns das Konzept von Bestrafung (und Belohnung) genauer an.

Bestrafung

Eine Strafe setzt du ein, damit sich dein Kind schlecht fühlt oder ihm ein gutes Gefühl verweigert wird – als Reaktion auf unerwünschtes Verhalten. Die Skinner’sche Idee dahinter lautet: Das Kind wird in Zukunft dieses Verhalten unterlassen.

Zu Strafen gehören Schläge, Isolieren (die sogenannte „Auszeit“), Ignorieren, Schimpfen, Liebesentzug, Drohen und vieles andere, was neuerdings als „Konsequenzen“ schöngeredet wird. Aber auch „Strafen light“ bleiben Bestrafung, wie: „Dann rede ich jetzt auch nicht mehr mit dir.“/ „Dann musst du eben jetzt alleine laufen.“/ „So nehm ich dich nicht mit!“

Selbst wenn du dein Kind zynisch vorwarnst: „Denk bitte daran, dass ich dir X wegnehme, wenn du Y machst“, beruhigst du damit höchstens dein eigenes Gewissen. (Ganz davon abgesehen, dass du Misstrauen zeigst: „Ich vertraue nicht darauf, dass du das Richtige tust, wenn ich dich nicht mit Angst vor Bestrafung steuere.“)

Skinner nahm also an, dass sich ein Kind sich umso besser verhält, je schlechter es sich fühlt? Ob das so funktioniert, dazu später mehr.

Eins jedoch vorweg:

Die subjektive Sicht eines Kindes unter Strafe ist immer: Meine Eltern haben mich gerade nicht lieb.

Das heißt, dass jede Strafe letztlich einen Entzug von Liebe darstellt.

Kurzfristig führt Liebesentzug zu Gehorsam. Allerdings ist er in direkter Form („Sonst habe ich dich gar nicht lieb.“) besonders grausam, da ein Kind länger unter emotionalen Stress setzt als eine Prügelstrafe.

Die nachhaltige Konsequenz von Strafen ist also nicht Gehorsam, sondern schlicht: Angst. Und zwar Angst vor Strafe.

Strafen schädigen eure Beziehung, das Selbstwertgefühl deines Kindes und erzeugen und verstärken Aggression und Fehlverhalten.

Noch größer sind die Auswirkungen, die zeitverzögert auftreten: Je häufiger du dein Kleinkind strafst, ihm deine Liebe (unbewusst) entziehst, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem aufmüpfigen, schwierigen Teenager heranwächst. Und dann? Noch mehr Strafen? Noch mehr Kontrolle?

Warum Strafen versagen

  • Strafen machen dein Kind wütend: Wer sich als Opfer fühlt, wird später eher selbst zum Täter. Es wird noch ungehorsamer, aggressiver und „frecher“ werden.
  • Strafen sind ein Vorbild für Machtmissbrauch: Sie lehren dein Kind, dass Macht vor Recht geht und seine Motive und Beweggründe dir egal sind.
  • Strafen verlieren langfristig ihre Wirksamkeit: Je älter dein Kind wird, umso kleiner wird deine Macht werden. Je mehr du strafst, umso kleiner wird der echte Einfluss auf dein Kind.
  • Strafen schaden der Eltern-Kind-Beziehung erheblich: Dein Kind nimmt auf: Meine Eltern geben sich manchmal richtig Mühe, mir den Spaß zu verderben, mir wehzutun, wollen, dass ich mich wertlos fühle – ich kann ihnen nie ganz vertrauen. Ich nehme deshalb innerlich lieber Abstand von ihnen.
  • Strafen hat unbeabsichtigte Effekte: Die absurde Annahme, Kinder verhielten sich besser, wenn wir dafür sorgen, dass sie sich schlecht fühlen, ist Blödsinn. Ein Kind, über das eine „Auszeit“ verhängt wird, denkt nicht: „Okay, vielleicht war es gemein von mir, meinem Bruder die Schokolade zu klauen und ihn zu schlagen.“ Es denkt eher darüber nach, wie ungerecht es die Situation empfindet und mit welchen Tricks (lügen, vertuschen, verheimlichen …) es sie nächstes Mal vermeiden kann.
  • Strafen fördern rücksichtsloses Eigeninteresse: Die moralische Entwicklung wird durch Strafen erheblich eingeschränkt. Wenn du deinem Kind den Nachtisch versagst, weil es seine Cousine geschlagen hat, wird es beim nächsten Mal darüber nachdenken, wie es für sich selbst diese Strafe vermeiden kann (Kosten-Nutzen-Analyse). Es denkt nicht darüber nach, dass es seinem Gegenüber wohl weh tut, wenn es geschlagen wird (Empathie und Moral).

Das heißt, mit Strafen formen wir zunächst „freche“ Kinder, dann rebellische Teenager und zuletzt unmoralische, ich-bezogene Erwachsene.

War das ursprünglich dein Erziehungsziel?

Belohnung

So. Dir dämmert langsam, dass Bestrafen möglicherweise gar nicht so harmlos ist, wie du immer dachtest.

Was ist aber mit der anderen Seite der verhaltenspädagogischen Keule – mit Belohnung? Jetzt kann tatsächlich dein bisheriges Erziehungsweltbild ins Wanken kommen: Sie ist nur die Kehrseite des Liebesentzugs. Ergo: genauso kontraproduktiv.

Positive Verstärkung soll das „gute“ Verhalten belohnen, um es zu fördern.

Die Idee ist nett.

Nein, ist sie nicht.

Sie ist völliger Blödsinn. Willst du wissen warum?

Die Studienlage dazu ist eindeutig: Belohnungen senken die Motivation, mindern die Leistung und vermiesen die Arbeitsqualität (auch bei Erwachsenen). Bei Kohn sind alle Studien gebündelt nachzulesen.

Woran liegt das? Es gibt zwei Arten von Motivation: Eine, die aus unserer eigenen Begeisterung entsteht. Die uns Feuer unterm Hintern macht. Die uns in den tollsten Flow versetzt – die intrinsische Motivation. Sie kommt von innen. Aus ihr heraus entwickelt sich dein Kind. Es will laufen lernen, es will sprechen, singen und hüpfen können, es will musizieren, Fußball spielen, tanzen, puzzeln. Weil es ihm Spaß macht. Weil es Begeisterung empfindet. (Vgl. Gerald Hüther: Jedes Kind ist hochbegabt*.)

Extrinsische Motivation ist das Gegenteil: Sie kommt von außen und setzt ein, wenn man mehr Geld im Job erhält, wenn man Gummibärchen oder Geschenke als Belohnung bekommt. Die extrinsische Motivation ist der intrinsischen kilometerweit unterlegen. Sie funktioniert nur kurz und wird schnell unwirksam.

Je mehr jemand dafür belohnt wird, etwas zu tun, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er das Interesse an dem, was er tun musste, um die Belohnung zu bekommen, verliert.

Kohn, S. 44.*

Badumm. Belohnung erreicht also – wie Bestrafen – das Gegenteil dessen, was du wolltest.

Belohnung gehört zum gleichen Konzept wie Strafen. Auch wenn du nicht strafst, sondern nur belohnst, ist dein Erziehungskonzept ein an Bedingungen geknüpftes. Und damit ist die Liebe, die bei deinem Kind ankommt nicht bedingungslos. Genau das braucht dein Kind aber. Dringend. ♥

Was ist schlecht an Lob?

Auch Lob ist in den meisten Fällen eine Belohnung. In diesem Satz – du ahnst es schon – steckt die wirklich schlechte Nachricht dieses Artikels: Auch Lob ist positive Verstärkung. Auch für Lob gilt dieselbe Devise: Es funktioniert nicht. Es erreicht das Gegenteil von dem, was du erreichen willst. Es zerstört Selbstwertgefühl, behindert moralische Reife, es erzeugt Druck. Es ist Teil eines an Bedingungen geknüpften Erziehungsstil.

Aua, aua, aua.

Ist das denn wahr?

Zunächst einmal kann die Bemerkung „Gut gemacht!“ beeinträchtigen, wie gut etwas tatsächlich gemacht wird. Forscher stellen immer wieder fest, dass Menschen, die dafür gelobt werden, eine kreative Aufgabe gut bewältigt zu haben, oft bei der nächsten Aufgabe ins Straucheln geraten. Warum? Erstens, weil das Lob Druck erzeugt, „weiter so“ zu machen und dieser Druck wirkt als Hemmnis. Zweitens, weil das Interesse der Menschen nun gesunken ist (weil es jetzt vor allem darum geht, mehr Lob zu bekommen). Und drittens, weil sie lieber kein Risiko eingehen, wenn sie dafür sorgen möchten, weiterhin gelobt zu werden.

Kohn, S. 45.*

Ein Beispiel: Kinder, die für Teilen und Großzügigkeit gelobt wurden – sind anschließend weniger großzügig und teilen weniger.

Das sitzt.

Das Problem ist also nicht nur, dass positive Verstärkung wie Loben und Belohnen einfach zwecklos sind, weil sie auf lange Sicht nicht funktionieren. Beim Kind kommt an: Ich liebe dich, wenn du gehorchst und tust, was ich will. Ich liebe dich aber nicht, wenn du ungehorsam bist oder mir keinen Grund zum Loben verschaffst.

Das ist sehr traurig und überdies schädlich für dein Kind.

Beziehung statt Erziehung
Wie erziehe ich mein Kind ohne Strafen und Belohnen?
Wie fühlt sich mein Kind bedingungslos geliebt?
Erziehen ohne Strafen und Belohnen – Beziehung schaffen, Bindung stärken

Scharfe Urteile statt achtsamer Beschreibungen

„Gut gemacht!“, „Fein!“, „Toll!“ sind keine Beschreibungen. Sie sind Urteile. Du beurteilst mit Loben dein Kind andauernd. Es ist nicht mal nötig explizit auszusprechen: „Ich habe dich nicht mehr lieb, wenn du bockig bist“/ „Ich habe dich lieb, wenn du so brav bist.“ Das tun zum Glück nur sehr wenige Eltern.

Je öfter wir „gut gemacht!“ sagen, umso schlechter wird das Selbstwertgefühl des Kindes und umso mehr Lob braucht es. […] Was Kinder wirklich brauchen, ist Liebe ohne Bedingungen. […] Manche Eltern, die in ihrer Kindheit zu wenig bedingungslose Liebe bekommen haben, diagnostizieren dieses Problem traurigerweise falsch und glauben, es habe ihnen an Lob gefehlt. Dann überschütten sie ihre Kinder mit „gut gemacht!“ und sorgen so dafür, dass wieder eine Generation nicht das bekommt, was sie wirklich braucht.

Kohn, S. 51f.*

Dein Kind fühlt sich öfters nicht geliebt

Aus der Sicht deines Kindes führen also viele Situationen dazu, dass es sich nicht geliebt und nicht angenommen fühlt.

„Ich finde toll, dass du geteilt hast!“ kommt beim Kind an als: „Ich finde dich toll, weil du geteilt hast!“ und das impliziert automatisch: „Ich finde dich nicht mehr gut, wenn du nicht teilst.“ Der letzte Schritt ist, dass dein Kind die Haltung in sich aufnimmt: „Ich bin nur dann gut, wenn ich teile.“

Insbesondere, wenn Liebe und Anerkennung nur für braves Verhalten reserviert sind, verinnerlicht das Kind schnell eine Botschaft, die du niemals absenden wolltest.

Der Psychologe Carl Rogers erklärte es so: Wenn Kinder die elterliche Liebe – nach subjektivem Empfinden! – nur für bestimmtes Verhalten bekommen, dann wertschätzen sie an sich selbst nur diese Anteile.

Negative Gefühle, wildes Benehmen, also einige ganz normale, menschliche Persönlichkeitsanteile lehnen sie an sich ab. Das Kind nimmt sich nie im Ganzen an. Es lernt nie, sich selbst zu lieben.

Das ist im Grunde ein Rezept für eine Neurose – oder schlimmer. In einer Publikation […] sind zehn Beispiele für „emotionale Misshandlung“ aufgeführt. Die Nummer zwei auf dieser Liste, gleich hinter „ständiger Kritik, Sarkasmus, Feindseligkeit und Beschuldigung“, lautet „an Bedingungen geknüpfte Erziehung, bei der das Maß an Zuneigung, das einem Kind gegenüber ausgedrückt wird, von seinem Verhalten oder seinen Handlungen abhängig gemacht wird.“

Kohn, S. 29.*

Ja, richtig gelesen. Das an Bedingungen geknüpfte Erziehungsschema – mit all seinen Instrumenten wie Belohnung, Lob, Bestrafung, Tadel – ist seelische Gewalt. Und emotionale Gewalt hat die gleichen Auswirkungen wie körperliche.

Auch wenn du selbst meinst: Ich liebe mein Kind immer. Ich nehme es immer an. Ich nehme alle seine Gefühle an.

Darauf kommt es weniger an.

Welche Gefühle wir gegenüber unseren Kindern empfinden, ist nicht so wichtig wie die Frage, wie sie diese Gefühle erleben und wie sie unsere Art, mit ihnen umzugehen, ansehen.

Kohn, S. 29.

Wenn dein Kind sich nur wertvoll für dich fühlt, wenn es eine bestimmte Leistung erbringt (aufs Töpfchen gehen, beim Essen sauber bleiben, gute Schulnoten, Sieg beim Fußball …), dann wird es sich nachgewiesener Maßen auch als Erwachsener weniger wertvoll fühlen. Teenager mögen sich selbst nicht mehr, wenn sie das Gefühl haben, die elterliche Anerkennung nur durch bestimmte Bedingungen zu ernten. Sie konstruieren ein falsches Bild von sich selbst, kämpfen mit Komplexen, bekommen Depressionen.

Wie du deinem Kind Liebe zeigen kannst, sodass es sich bedingungslos geliebt fühlt

Liebevollen Gefühle müssen auch in liebevolle Handlungen übersetzt werden. Wie also kann das gelingen? Wie kannst du deinem Kind zeigen, dass du es bedingungslos liebst? (Denn ich weiß: Das tust du! ♥)

Sich selbst reflektieren

Zu reflektieren, warum du bisher suboptimal gehandelt hast und zu verstehen, woher dein Handeln kommt, ist der wirksamste Schritt. Wenn du dein Denken änderst, ändern sich dein Handeln, deine Kommunikation, deine Wirkung automatisch.

Wir neigen im Allgemeinen dazu, den Erziehungsstil zu übernehmen, der auch uns widerfahren ist. Das traditionelle Erziehungsmodell unserer westlichen Kultur ist ein an Bedingungen geknüpftes. Hier liegt auch schon der Knackpunkt: Es ist nur ein Modell von vielen. Du kannst wählen, welches du anwenden willst. Aber um die Wahl zu haben, musst du deine eigene Erziehung kritisch hinterfragen.

Wer bin ich? Warum bin ich so geworden? Wie gingen meine Eltern mit mir um? Wie will ich mit meinem Kind umgehen?

Her mit dem Rezept für glückliche Kinder!

Sorry, aber es gibt keine Step-by-step-Anleitung dafür, wie man glückliche Kinder aufzieht. Wer das Gegenteil behauptet, ist größenwahnsinnig.

Erstens müsste dein Gegenüber – in diesem Fall hier ich – die perfekte Mutter sein, die ich nicht bin.

Zweitens wäre es absolut respektlos gegenüber dir und deiner individuellen Familie zu behaupten, ein standardisiertes Patentrezept könne für jede Familie und für die drölfzig Milliarden alltäglichen Herausforderungen mit Kindern als perfekte Formel funktionieren.

Wenn ich von Selbstreflexion und kinderfreundlichen Grundsätzen spreche, dann ist das eine bestimmte Haltung, ein bestimmtes Nachdenken über Kinder und Menschen im Allgemeinen. Kein Standardrezept, keine Formel.

All das ist aus der aktuellen wissenschaftlichen Forschung abgeleitet und zusammen mit den Meinungen und Beobachtungen kritischer Autoren und mir selbst zu einem Ideenangebot synthetisiert.

Schau, was dir vernünftig erscheint und geh mit deiner Familie deinen persönlichen Weg:

Liebe zeigen

Hier zwei Grundsätze, mit denen du es schaffen kannst, dass dein Kind sich bedingungslos geliebt fühlt:

  • Stell dir eine neue Hauptfrage: Statt „Wie kriege ich mein Kind dazu zu gehorchen?“ frage dich öfter: „Was hat mein Kind für Bedürfnisse und wie kann ich sie stillen?“
  • Nimm dein Kind immer ernst: Behandle es als einen Menschen auf Augenhöhe, dessen Gefühle, Ideen, Fragen und Motivationen real und wichtig sind.

Im Einzelnen haben diese Grundsätze folgende Konsequenzen (vgl. Kohn*, S. 140ff.):

  1. Bleib selbstkritisch, ohne dich selbst zu zerfleischen: Vielleicht geht es dir wie mir – ich frage mich oft: Wie kriege ich meine Kinder dazu, sich zügig anzuziehen, ohne Mittel einzusetzen (z.B. Drohen), die mir widerstreben? Die ehrliche Antwort: Dafür gibt es keine einfache Lösung. Die Lösung im Sinne bedingungsloser Elternliebe lautet einfach: Rede es nicht schön, bleibe selbstkritisch, behaupte nicht, irgendwelche fiesen Methoden seien im Interesse deiner Kinder. Das sind sie nicht.
  2. Hinterfrage kritisch deine Forderungen: Vielleicht liegt das Problem nicht darin, dass dein Kind „nicht funktioniert“, sondern in deiner Anforderung? Viele Erziehungsratgeber fragen, wie man Kinder zu etwas bewegen soll. Aber ist es überhaupt richtig, dass man sie dazu bewegen will? Kinder sind keine kleinen Erwachsenen! Ist deine Forderung altersentsprechend? Ist deine Forderung nötig? Z.B. der Klavierunterricht oder ein bestimmtes Outfit? Die Erwartungen an unsere Kinder sollten menschenfreundlich, realistisch und altersentsprechend sein. Es ist ganz normal, dass sie unruhig oder laut sind, dass sie vergessen, ein batteriebetriebenes Auto auszuschalten, und dass in unseren Augen winzige Veränderungen der Umwelt sie verunsichern. Wir müssen unsere Erwartungen darauf abstimmen, wozu sie in der Lage sind. Kohn, S. 151. *
  3. Ruf dir deine langfristigen Erziehungsziele ins Bewusstsein: Willst du einen selbstbewussten, glücklichen, verantwortungsbewussten, moralisch handelnden Menschen großziehen – dann sei dir im Klaren, dass alle Arten von Strafen diesen Zielen im Wege stehen. Ob Ihr Kind heute den Kakao verschüttet, die Beherrschung verliert oder vergisst, die Hausaufgaben zu machen, ist nicht halb so wichtig wie das, was Sie tun, was Ihrem Kind entweder dabei hilft oder ihm eben nicht hilft, ein anständiger, verantwortungsbewusster, mitfühlender Mensch zu werden. Kohn, S. 143. *
  4. Eure Beziehung geht vor: Was ist es wert, die Beziehung zu deinem Kind zu beschädigen? Nichts! Nicht durchschlafen lernen, nicht trocken werden, nicht die 1 in Mathe, nicht die Akkordeonaufführung, nicht die guten Manieren. Im Zweifelsfall sollte immer die Beziehung Vorrang haben. Eine gute Beziehung macht es leichter, Probleme zu lösen. Eine gute Beziehung schafft Vertrauen. Sie verhindert viele Konflikte schon am Entstehen. Sie macht dein Familienleben besser und schöner in jedweder Hinsicht. ♥
  5. Ändere deine Haltung, nicht nur dein Verhalten: Entscheide dich – willst du dein Kind als Objekt betrachten, das du formst, kontrollierst, als Schmuckstück benutzt? Oder willst du mit deinem Kind zusammenarbeiten, um Lösungen zu finden?
  6. Zeig Respekt: Alle Menschen verdienen Respekt. Auch dein Kind. Ängste zu bagatellisieren, Wut als Nichtigkeit abzutun, das Kind ignorieren, sich abfällig oder sarkastisch zu äußern – das ist respektlos. Kinder wissen, wann und ob sie Hunger haben, ob ihnen kalt ist, ob sie noch das Stillen brauchen, ob sie eine Person mögen oder nicht. Respektiere das, wenn du auch nicht immer die Umstände danach anpassen kannst.
  7. Bleib authentisch: Spiel keine Rolle. Sei ein echter Mensch. Dein Kind soll das wissen! Es soll wissen, dass du manchmal unsicher bist, Hunger hast, mit Nervosität kämpfst, abgelenkt bist. Gib nicht vor, du wärst unfehlbar. Wage es, dich bei deinem Kind zu entschuldigen, wenn es nötig ist: Damit bist du ein tolles Vorbild und hebst dich von Superheldensockel. Du zeigst, dass Fehler machen okay und Fehler zuzugeben das Richtige ist. Je aufrichtiger du deinem Kind gegenüber bist, umso mehr echten Respekt wird es dir entgegenbringen.
  8. Hör auf zu predigen und interessiere dich stattdessen mehr für dein Kind: Setz dir als oberstes Ziel, bei Problem die Ursache herauszufinden. Dein Kind ist noch zu klein, um seine Beweggründe zu erklären? Hilf ihm, biete Formulierungen an. Einem Dreijährigen zu befehlen, es solle nicht ständig klammern, ist zwecklos. Herauszufinden, was seine Verlustängste verursacht und darauf empathisch zu reagieren, ist eine bessere Möglichkeit. Ist dein Kind schon älter, ist die spannende Frage, ob es sich sicher genug fühlt, seine Beweggründe, Gefühle und Motive mit dir zu teilen. Menschen, die Urteile und Bewertungen fürchten (Stichwort Lob und Tadel), sprechen in der Regel nicht besonders offen. Weniger auf die Leute einzureden, stattdessen mehr echtes Interesse am Gegenüber zu zeigen, ist nicht nur förderlich für die Beziehung zu deinem Kind, sondern auch in Bezug auf Partner, Freunde, Schüler, Mitarbeiter etc. Gerade bei Teenagern fühlen wir uns viel zu oft verpflichtet, etwas zu sagen. Manchmal ist Schweigen und einfach Dasein (oder Umarmen) der beste Weg.
  9. Sag nicht unnötig nein: Viele Neins haben ihre Berechtigung und müssen – ohne schlechtes Gewissen – sein. Die allermeisten aber sind sinnlos, erzeugen Druck, schaffen Streit und Ärger. Probier dich mal in einer Nein-Diät und schau, was passiert. Du wirst staunen, wie positiv sich das auf euer Familienklima auswirkt.
  10. Sei weniger konsequent: Alles, was dein Kind tut, steht in einem größeren Zusammenhang. Berücksichtige, dass es auch mal einen schlechten Tag hat. Zieh auch in Erwägung, dass heute vielleicht deine Nerven mal nicht so strapazierfähig sind wie sonst. Betrachte die Dinge im Kontext. Konzentriere dich lieber auf die Lösung eines Problems als auf die zwanghaft konsequente Durchführung von Strafe.
  11. Reduziere Hektik und Stress: Stress überträgt sich ruckzuck auf die ganze Familie. Termindruck fördert Konflikte. Anspannung macht kampfeslustig. Umgehe das, sooft du kannst. Hier kannst du mehr darüber lesen: Artgerecht und ohne Stress in Familie. Der Versuch, ein kleines Kind zur Eile anzutreiben, ist ein aussichtsloses Unterfangen. Daher ist es oft sinnvoll, jetzt ein bisschen Zeit aufzuwenden, um später mehr Zeit zu sparen. [Außerdem gilt im Zweifel:] Ein verschlossenes Tor, das ein Kleinkind in Ihrem Garten hält, ist viel vernünftiger als der Versuch, das Kind durch Angst oder Überredung davon abzuhalten, auf die Straße zu spazieren. Tun Sie im Allgemeinen, was Sie können, um Probleme abzuwenden. Kohn, S. 161.* Kurz: Schaffe dir und deinem Kind eine entspannte Ja-Umgebung und verzichte auf alles, was unnötig (Zeit-)Druck und Stress verursacht.

Das sind Grundsätze einer Erziehung, die Liebe nicht an Bedingungen knüpft. Aber wie geht es konkret – ohne Lob? Lies mehr dazu hier:

Alternativen zum Loben – wie du deinem Kind bedingungslose Liebe zeigen kannst Teil II

Warme Grüße

Eure Anne

PS: Wenn dich diese Überlegungen genauso bewegt haben wie mich, dann teil den Artikel gerne und sorge so dafür, dass mehr Eltern erfahren, wie leicht man Kinder glücklich machen kann. URL kopieren und weiterschicken. Denn die glücklichen Kinder von heute, gestalten schon morgen eine bessere Gesellschaft. ♥

Literatur:

Fromm, Erich: Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München 1999.

Hüther, Gerald/ Hauser, Uli: Jedes Kind ist hochbegabt, München 2012.*

Juul, Jesper: Grenzen, Nähe, Respekt. Auf dem Weg zur kompetenten Eltern-Kind-Beziehung, Reinbeck bei Hamburg 2000.*

Kohn, Alfie: Liebe und Eigenständigkeit. Die Kunst bedingungsloser Elternschaft jenseits von Belohnung und Bestrafung, Freiburg 2010.*

Ich lade dich herzlich ein, diese Gedanken zu teilen.

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