Tabu Wochenbett

Chaos, Tränen, neue Welt: Emotionale Vorbereitung auf das erste Wochenbett

Ich lade dich herzlich ein, diese Gedanken zu teilen.

Die verrücktesten Wochen im Leben einer Frau? Ja, vielleicht ist das das Wochenbett. Du dachtest, das emotionale Chaos in der Schwangerschaft wäre heftig gewesen? Dann willkommen im nächsten Level: Wochenbett.

Widersprüchliche Gefühle umklammern dein Herz. Unrealistische Horrorszenarien verstopfen deinen Kopf. Euer Alltag purzelt quer durcheinander.

Steht es dir kurz bevor? Oder bist du gerade mittendrin? Dann einmal hier entlang:

Das ist der erste Teil meiner Wochenbett-Reihe. Er dreht sich um dich, die frisch gebackene Mama.

Teil II richtet sich an den Papa im Wochenbett und Teil III der Reihe an die Oma (Mutter der Neulingsmama). Teil IV ist ein fiktiver Brief des Neugeborenen an seine Eltern. Der ist noch in se mejking. Trag dich weiter unten gerne für den Newsletter ein, um seine Veröffentlichung nicht zu verpassen oder folg mir auf Instagram @weltfremd_mamablog.

Was wir alle dringend brauchen: ein neues und besseres Verständnis für die seelischen Vorgänge im Übergang zwischen Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Das Mutterwerden ist eine Lebenskrise. Nutzen wir sie als Chance. ♥ … und holen wir all unsere Gedanken und Gefühle raus aus der Tabuzone!

In diesem Artikel erfährst du:

  • Was das Wochenbett psychisch bedeutet
  • Persönliche Erfahrungen aus meinem ersten Wochenbett
  • Unterstützung für Zeiten des Weinens
  • Wie du echte Nähe zu deinem Baby aufbaust
  • Was andere welfremd-Leserinnen gerne vor dem Wochenbett gewusst hätten inkl. herzlicher Tipps

Bereit?

Auf geht’s in die seelischen Untiefen nach deiner Geburt als Mama.

Nach der ersten Geburt

Wenn ich mich an mein erstes Wochenbett erinnere, habe ich manchmal das Gefühl, dass ich in dieser Zeit überhaupt nicht ich selbst war. Nicht die Person, die ich sonst bin. Ich war völlig hysterisch, überbesorgt, überfordert. Ich hatte keine Ahnung, dass neben meinem vernünftigen Ich noch etwas völlig konfuses, surreales und schmerzhaftes in mir wohnt.

Übergänge von einem Lebensabschnitt in den nächsten sind grundsätzlich eine sensible, aufwühlende Zeit. Es findet eine Veränderung statt. Das eine Ufer verlassen wir, um ein neues zu erobern. Als ich die erste Woche an der Uni war, hatte ich Kopfschmerzen. Als jüngst mein Neffe eingeschult wurde, war er die erste Zeit danach völlig platt. Ein Kleinkind, dass das Spielen beenden und sich bettfertig machen soll, flippt aus.

Der größte Übergang in unserem Leben ist der von der Frau hin zur Mutter. Während du dein Kind gebärst, wirst du auch selbst neu geboren – als Mama. ♥

Verbindung von Anfang an

Zwischen dir und deinem Kind existiert eine Art unsichtbares Band. Dein Baby kennt aus dem Bauch deine Pheromone. Das heißt, es kennt von innen deinen Körpergeruch. Es hat durch die Körperflüssigkeit hindurch alle Stimmen verzerrt wahrgenommen – bis auf deine, die sich durch den Körper klar übertragen hat. Es hat mit dir gefühlt, mit dir gegessen, war mit dir verbunden und konnte gleichzeitig wachsen.

So wie dein Baby sich mit dir verbunden und bei dir zu Hause fühlt, so bist auch du mit ihm verbunden:

[D]ie Mutter erlebt das Gefühl, dass ihr etwas fehlt, wenn sie z.B. das Haus verlässt. Sie ist im Wochenbett seelisch gesehen eine Baby-Mutter. In dieser Zeit fährt sie zweigleisig – sie ist eine erwachsene Frau und ein Kind zugleich: Ein Teil von ihr fühlt sich ein wenig so an, als wäre sie selbst ein Baby – sie ist empfindlich, emotional labil, unfähig, rational zu denken, [ist] „nah am Wasser gebaut“, ständig stört sie etwas. Es ist eine Phase der Regression, einer seelischen Reise zurück in einen kindlichen Zustand.

Erchova, S. 92.

Neue Dimensionen

Das Wochenbett ist wie eine Parallelwelt, in die wir zum ersten Mal eintreten – mit unserem Baby. Das Baby intuitiv zu spüren, sich seinen Bedürfnissen und Rhythmen hinzugeben, empathisch mitzufühlen, dem Kind die Führung zu überlassen – steht im krassen Gegensatz zur harten, eher männlich dominierten Realität, die vielleicht bisher dein Leben bestimmt hat.

Durch all die Zweifel, Ängste, Sorgen und Unsicherheiten hindurch, lass mich dir sagen: Du machst das großartig. Nur DU weißt, was dein Baby braucht. Es zeigt es dir deutlich. Ihr versteht euch. Ihr kennt euch. Lass dich nicht verunsichern von abstrusen Ammenmärchen, die längst ausgedient haben. DU bist die Mama und DU weißt, was gut und richtig für dein Kind ist. Keine Schwiegermutter. Keine Nachbarin. Kein Arzt. Nur du. Ihr seid ein individuelles Team, das es so noch nie auf der Welt gegeben hat. Also hör auf deine innere Stimme. Gib dich ihr hin. ♥

Vielleicht fühlt sich die Verantwortung enorm an, aber du hast sie nur, weil du sie auch tragen kannst. Ganz sicher. Für dein Baby bist du die Welt. Deine Fehler und Macken verzeiht es dir leicht. Die Form deiner Brüste interessiert es nicht – sie sind für es schlichtweg der Zugang zum Paradies.

Das Baby als Gefühlsseismograph

Dieses kleine, unbeschriebene Blatt, das dein Leben, all deine Gedanken und Gefühle jetzt bestimmt, fühlt und äußert noch ohne Tabus und Filter. Und es saugt deine Haltung, deine Gefühle, dein Innerstes auf. Es ist nach Erchova das Sprachrohr für die emotionale Welt der Mutter – ihre Höhenflüge und ihre Abgründe.

Das Baby saugt auf und äußert vor allem die Gefühle der Mutter, die ihr selbst unbewusst sind. Alles, was sie nicht wahrhaben möchte, was sie vergessen und hinter sich lassen will, was sie beschämt oder aufregt – all das nimmt das Baby auf und spiegelt es. Und es ist niemand so schonungslos im Spiegeln der seelischen Wunden wie das eigene Baby. […] Es ist, als würde die Mutter ihre verwundete Seele oder ihr inneres Kind auf dem Arm tragen.

Erchova, S. 94.

Auch Völchert schreibt in Liebevolle elterliche Führung* sinngemäß: Ein Baby, das ein innerlich ruhiger Erwachsener im Arm hat, ist entspannt. Ein Baby im Arm eines innerlich oder unbewusst aufgewühlten Menschen ist unruhig.

Ein alternativer Blick auf „grundloses“ Schreien

Eines meiner Kinder war ein Schreibaby. Zum Glück hatte ich eine traumasensible Stillberaterin an meiner Seite, die uns beiden sicher aus der Situation herausgeholfen hat. (Hast du ein Schreibaby? Dann gibt’s hier erste Hilfe von Thomas Harms: Keine Angst vor Babytränen. Wie Sie das Weinen ihres Babys sicher begleiten*.)

Begreifen wir das Schreien als Symptom, eröffnet sich eine großartige Chance: Wir können es als wichtigen Indikator für den emotionalen Zustand der Mutter während der Schwangerschaft, Geburt und der Babyzeit ansehen.

Babys sind Seismographen für die Gefühle der Eltern. Für innere Konflikte. Für Persönlichkeitsanteile, die wir gerne verleugnen, ablehnen, die uns belasten. Sie zeigen uns Spannungen an, die wir selbst gar nicht wahrnehmen.

Fluch oder Segen? Puh. Das entscheidet jeder für sich. Für mich war es eine riesige Chance, mich selbst weiterzuentwickeln, über mich hinauszuwachsen und all meinen seelischen Ballast endlich abzuwerfen.

Wie geht es Mama und Papa?

Was wirklich schade ist – und das ist grundsätzlich ein Problem in unser Gesellschaft – ist, dass wir Symptome als lästige Probleme betrachten, die möglichst schnell „weggemacht“ gehören. Und klar: Es ist schlimm für die ganze Familie, wenn sowohl das Baby leidet, als auch die Eltern, die womöglich durch das Weinen noch an alte Wunden erinnert (getriggert) werden. Sicher will man in der Situation schnelle Hilfe. Traurig ist nur, dass beim Symptom Schreibaby niemand auf die Idee kommt zu fragen, wie es denn der Mutter geht, wie es den Eltern als Paar geht, wie die Geburt verlaufen ist, was die Eltern an unbewussten Konflikten, Ängsten oder transgerenationalen Traumata noch unverarbeitet als schwere Last auf den Schultern tragen?

Die Frage danach, wie wir Schreibabys und ihre Mütter „behandeln“ können, wo die Ursachen liegen und was mögliche Lösungen sind, diskutiert Inga Erchova in ihrem Buch Jede Mutter kann glücklich sein*.

Gleiches gilt für Stillprobleme – wenn das Baby die Brust verweigert, zu wenig Milch fließt etc., gibt es aus psychotherapeutischer Sicht sehr kluge und hilfreiche Ansätze, die das Buch bespricht. Bei Problemen solcherart kann dir eine weise Stillberaterin oder ergänzend auch Erchovas Buch sicherlich neue Türen öffnen.

Alles läuft glatt?

Ich wünsche dir, dass du verschont bleibst von solchen Schwierigkeiten. Wenn sie aber da sind, dann ist das kein Grund zum Verzweifeln. Viele Wege führen in eine glückliche Still-(oder Nicht-Still-)Beziehung und ein erfüllendes Familienleben. Gib dir und deinem Baby, deinem/r Partner(in) genügend Zeit. Verzeih dir Aussetzer, Ausraster und Ausflipper sofort und von Herzen. Die gehören dazu.

Wie alles beginnt

Als ich den dicken Babybauch vor mir herschob, hat mir mal eine meiner Schwägerinnen gesagt: „Du denkst, die Geburt ist das Schlimmste. Aber das Schlimmste kommt noch.“

Ich weiß nicht mehr, was ich in dem Moment gedacht oder wie ich reagiert habe. Ich weiß nur eins: Das gesamte Wochenbett über hat mich dieser Spruch verfolgt. Es begann im Grunde ca. eine Stunde nach der Ankunft zu Hause.

Ich. Mein Baby. Mein Mann.

Alleinige Verantwortung. Schlagartig wird mir das bewusst.

Nervenzusammenbruch in 3, 2, 1 ….

Der Grund? Ich wusste nicht, wie ich mein Kind bei 15° C Schlafzimmertemperatur zudecken/ anziehen sollte. Als normal denkender Mensch sage ich mir: Bitte? Deshalb ausflippen? Das geht nur völlig Geisteskranken so! Aber ich frag mal so … Sind wir im Wochenbett nicht alle ein bisschen geisteskrank?

Die wenigen Tage auf der Wochenbettstation vergehen wie in einem Film, auf den wir von außen schauen, ohne eine aktive Rolle darin zu spielen. Ärzte, Krankenschwestern, Besucher und Routineuntersuchungen halten uns beschäftigt und die Gefühle in Schach. Dann ist der Moment gekommen, und wir verlassen das Krankenhausgebäude, ungläubig, dass wir dieses Kind jetzt tatsächlich ganz ohne Begleitung mit nach Hause nehmen dürfen. Der Heimweg ist der Moment, in dem sich die Parallelwelten kreuzen, und wir betreten das Zuhause bereits als anderer Mensch.

Erchova, S. 107.

Ich war zugleich Löwenmutter und verunsichertes Mäuschen.

Das Gefühl, plötzlich ohne Rückhalt, ohne Hilfe, ganz und gar alleine die gesamte schwere Verantwortung zu tragen, war überwältigend. Im negativen Sinne. Mein Mann? Alles, was er sagte, nahm ich als nicht ernstzunehmendes Geplapper eines Nicht-Fachmanns wahr. Alles, was die Hebamme riet? Wie flüssiges, warmes, beruhigendes Gold in meinen Ohren.

(Ja, mein armer Mann tut mir rückblickend auch leid. Zugegeben: I’m an awful wife.)

Mama werden - wie fühlt sich das an?
Nach der Geburt liegt die Seele blank

Alltag oder Wahnsinn?

Was für eine Aufgabe: Diesen kleinen Menschen soll ich nun großziehen? Werde ich das schaffen? Warum will ich ständig weinen? Warum schwankt meine Laune so extrem?

Druck auf der Brust, Anspannung im Körper. Unendliche Liebe, Ohnmacht, die Brust vor Stolz fast vorm Platzen, Panik nach Milchstuhlexplosion (bitte wörtlich nehmen), Angst – lebt es noch? Atmet es? – Gereiztheit, lautes Singen vor Ausgelassenheit, wild gerupfte Frisur und Schlabberlook, extreme Empfindlichkeit, Wahnsinnserscheinungen nach Schlafentzug, so viel Knuddeln, Streicheln, Tragen, wunde Brustwarzen, das Geschirr stapelt sich. Hilfeanruf aus der Drogerie: „Hier gibt es zwanzig verschiedene Sorten Binden!“ Besucher, die sich nicht mal trauen – angesichts meines Blickes – zu fragen, ob sie „nur mal kurz halten dürfen“. Trinkprotokoll. Milchpumpe röhrt rhythmisch, wieder und wieder. Selbst wenn sie aus ist, röhrt es noch in meinem Kopf.

Angst, das Baby könnte weinen. Angst, duschen zu gehen, weil mein Kind mich brauchen könnte.

Anruf bei der Stillberaterin, Termin zum Glück zeitnah.

Warum rocken das die Anderen? Freundin, die kurz zuvor entbunden hatte, schwebte im siebten Himmel in den ersten Wochen. (Später habe ich erfahren, es war natürlich nicht so.) Was mache ich falsch? Was ist an mir falsch?

Bin ich verrückt geworden?

Verständnisvoller Anruf der Schwägerin: „Regel Nummer eins: DAS BABY WIRD NICHT STERBEN. Egal, was du tust. DU KANNST KEINEN FEHLER MACHEN.“ Bitte, das noch zwanzig Mal zu wiederholen. Sie wiederholt es zwanzig Mal. Besser. Durchatmen. Verinnerlichen.

„Regel Nummer zwei: Nach acht Wochen wird es ganz wunderbar sein. Halte durch.“

Was soll ich sagen. Sie hatte Recht.

Diese Kulisse ist vor allem für das erste Kind charakteristisch. Sie erinnert uns daran, dass das Mutterwerden eine existenzielle Krise ist, die eine dramatische Veränderung des Lebens markiert. […] Die alte Struktur bricht zusammen und entlässt den seelischen Schatten nach außen.

Erchova, S. 109.

Die Seele im Wochenbett

Wenn die Seele im Wochenbett schmerzt, offenbart sie bisher ungekannte Teile von dir. Teile, die du verleugnest, als nicht zu dir gehörig betrachtet hast. Eigenschaften, die du vielleicht lieber an anderen bemängelst, die du verdrängt hast, vergessen wolltest, alles, was dir widerstrebt, was du lieber vergessen hättest. Im Wochenbett kommen sie nun ungebeten zum Vorschein. Ob du willst oder nicht.

Im Wochenbett liegt die Seele blank, und all die schmerzhaften Erfahrungen, die wir vergessen zu haben glaubten, machen wieder auf sich aufmerksam.

Erchova, S. 110.

Je mehr schmerzhafte Erfahrungen du bis dahin ins Unterbewusstsein outgesourced hast, umso größer ist dein seelischer Schatten (Traumasprech: deine Traumaanteile und Überlebensstrategien) und umso brutaler empfindest du nun die Begegnung damit. Das ist der Grund, warum psychisch angeschlagene Frauen auch im Wochenbett zu Depressionen neigen. Für sie ist der Hammer am größten.

Es gibt auch Frauen, für die ist der Hammer so groß, dass sie auch ihn ins Unterbewusstsein outsourcen und ihren Kindern das gleiche antun, wie ihnen angetan wurde. Lies mehr dazu in Hitler im Herzen – Erziehung und Trauma.

Exkurs: Beispiel

Erchova schreibt in ihrem Buch von einer Frau namens Lily. Sie sei apathisch und depressiv im Wochenbett, ihre Tochter habe Gedeihprobleme. Nach dem Vorbild ihrer empathielosen Mutter kümmert sie sich nur rudimentär und im 4h-Rhythmus um ihr Baby.

Im Umgang mit ihrer Tochter folgt Lily minutiös dem Vorbild ihrer Mutter. Sie leugnet seine zerstörerische Wirkung. Mehr noch, sie versucht geradezu zu beweisen, dass ihre Mutter alles richtig gemacht hat. Mit dem Wiederholen ihres Verhaltens möchte Lily ihrer Mutter Bestätigung und Liebe geben in der Hoffnung, im Gegenzug Mutterliebe zu bekommen – eine alte Hoffnung, die leider nicht in Erfüllung gehen kann, da echte Mutterliebe bedingungslos ist. Man muss nichts dafür tun. Wenn Lily einen anderen Umgang mit ihrer Tochter pflegen würde, würde es Kritik am Verhalten ihrer Mutter oder gar Verrat bedeuten. Und das bringt Lily nicht übers Herz. Dafür ist sie sogar bereit, ihre eigene Tochter zu opfern.

Erchova, S. 114.

Wenn dich die ganze Geschichte von Lily interessiert, lies doch Erchovas Buch*. Eines meiner Lieblingsbücher für Mütter. Wärmste Empfehlung. ♥

Okay, weiter im Text:

Mamawerdung und inneres Kind

Fällt es dir schwer, emotional in Verbindung mit deinem Baby zu treten? Oder deutlich gesagt: Du fragst dich, wo sie denn bitte bleibt, diese bedingungslose, große Mutterliebe, von der immer alle singen? Dann musst du in der Vergangenheit Erfahrungen gemacht haben, die dir im Hier und Jetzt das Lieben und die Bindung erschweren.

Wenn du als Mama geboren wirst, erlebst du mit deinem Kind auf gewisse Weise deine eigene Kindheit noch mal. Je bruchstückhafter die Erinnerungen sind – manche haben überhaupt keine Erinnerungen an die Kindheit – umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Erinnerungen einfach zu schmerzhaft sind und sie deshalb zum Schutz vergessen wurden.

Vielleicht haben deine Mutter und du darüber schon oft gesprochen. Aber wenn du nun selbst in der Situation bist, ist ein authentischeres Gespräch möglich. Also frag doch deine Mutter (noch mal): Wie war deine Geburt? Wie erging es ihr im ersten Wochenbett? Hat sie noch Erinnerungen? Und wenn ja welche? Du kannst vielleicht daraus ableiten oder erfühlen, wie dein Start ins Leben war. Möglicherweise erschließt sich daraus sogar, was dein jetziges Verhalten und deine Empfindungen im Wochenbett bedeuten.

Chancen erkennen

Wenn das Wochenbett von einem diffusen seelischen Schmerz gekennzeichnet ist, von Stimmungsschwankungen, Tränen, Apathie, Verzweiflung – dann können wir es als Chance, als Geschenk begreifen.

Nach der Geburt des ersten Kindes scheiden sich die Wege der Frauen, manchmal sogar unter besten Freundinnen. Einige stellen sich Fragen, suchen nach Antworten in ihrem Inneren und nehmen die Mutterschaft als Ausgangspunkt einer Reise zu ihrem wahren Ich. Die anderen schauen weg, finden einfache Abhilfen, um über den Tag zu kommen, und verschieben, statt zu lösen. Die Entscheidung ist immer persönlich, doch sie betrifft nicht nur uns, sondern auch unsere Kinder. Sie bleiben das Sprachrohr unseres Leidens und vererben unsere ungelösten Konflikte in die nächste Generation weiter. Deshalb kommen wir als Eltern in eine ganz besondere Pflicht, uns unseren seelischen Verletzungen zu stellen, sie zu studieren und zu heilen. So können wir mit unseren Kindern und mit uns selbst friedlicher leben.

Erchova, S.98.

Tränen im Wochenbett

Es gibt im Wochenbett nichts heilsameres, nichts wichtigeres, nichts melancholisch-schmerzhaft-schöneres als Weinen. Hemmungslos, kindlich, schamlos, ungeniert weinen.

Tu es. Lass alles raus! Schrei die Welt an! Lass alle Dämme brechen und die Tränen fließen!

Klar, kannst du mit Psychopharmaka dich selbst und deine Angehörigen beruhigen. Ist erst mal eine Strategie. Sieht nach außen netter aus. Du funktionierst. Ja. Schöne Normalität.

Aber bringt es das? Wenn das Fühlen der Gefühle – die berechtigt sind – ausbleibt, wenn die Tränen drinnen bleiben, dann kann es keine Heilung geben. Dann bleibt die seelische Wunde offen – dann bleiben die Tränen deiner Kindheit ungeweint. Dann bleibt deine (vielleicht sogar schwierige) Geburt unbetrauert. Dann bleiben deine innere Zerrissenheit, deine emotionalen Konflikte ungelöst.

Jedes Mal, wenn du dir erlaubst, hemmungslos zu weinen, gibst du ein Stück alter Last ab. Mit jeder, Träne, die du weinst, wirst du ein bisschen leichter.

Tränen, die stecken bleiben, richten im Inneren Unheil an, sie schimmeln, treiben als Nackenschmerzen oder Nasenbluten ihr Unwesen. (Nach H.-J. Maaz sorgt der sogenannte Gefühlsstau* bis ans Lebensende für verschiedenste Symptome.)Das kannst du nicht gebrauchen.

Und Kosten von unterdrückter Aufarbeitung durch

  • Psychopharmaka
  • Funktionieren und
  • Gefühle unterdrücken

sind riesig: Sie entfernen dich emotional von deinem Kind. Von genau jenem Menschen, der, wie du immer sagst, der allerwichtigste in deinem Leben ist.

Seelenstreichler – Tipps aus der Leserschaft

Ich habe meine Leserinnen gefragt: Was hättest du vor der Geburt deines ersten Kindes gerne gewusst über das Wochenbett? Wie ist es dir ergangen? Was würdest du deinem früheren Ich kurz vor der Geburt als Rat oder Hinweis sagen wollen?

Hier sind einige anonymisierte Antworten: (Ganz lieben Dank an alle, die mitgemacht haben!)

Vertrauen und Selbstbewusstsein:

♥ „Habe Vertrauen. In dir steckt alles, was du brauchst und dieses kleine Wesen zeigt dir, wo du es in dir findest. Und, steh für dich ein. Dann bist du eben mal der Arsch für andere, weil du den Besuch kurzfristig absagst. Wichtig ist, dass es dir und dem Baby gut geht. Und wenn ihr gerade Ruhe statt Besuch braucht, dann ist das so.“

♥ „Sei besonders liebevoll zu dir, gib dir Zeit, dein Baby kennenzulernen, und gib dir Zeit, im neuen Leben anzukommen!“

♥ „Ich würde mir, wahrscheinlich sagen, dass es hart wird, aber ich über mich hinauswachsen werde. Das Stillen war wohl aber die größte Hürde. Doch es lohnt sich zu kämpfen! Ich würde mir raten, mehr Geduld zu haben. Viele meiner „Sorgen“ haben sich genau an dem Punkt gelöst, an dem ich eigentlich schon handeln wollte … dann aber doch ein bisschen mehr Geduld hatte.“

Emotionales Chaos:

♥ „In der ersten Zeit steckt man vielleicht nicht in einer wunderbaren Blase, sondern hat mega viele Ängste und Sorgen. Erst dachte ich im Krankenhaus nach der Entbindung: „Oh Gott, ich kann das alles nicht!“ Weil ich sooooo sehr geschafft war und mich das so übermannt hat „plötzlich“ Mama zu sein.“

♥ „Ich habe mich nach der Geburt zum ersten Mal richtig mit meiner eigenen Erziehung beschäftigt und lag Nächte lang wach. Das war echt total aufwühlend und tränenreich. Davor dachte ich beim Wochenbett immer nur an das Körperliche, aber emotional war das Wochenbett auch eine große Nummer. Und ich hatte keine Depression oder so – alles ganz normal? Ich glaube, es geht vielen so.“

♥ „Im ersten Wochenbett, war ich so schlapp wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich habe mich 7 Tage lang gefühlt wie im Vollrausch, da meine Hormone einfach die Kontrolle über meinen Körper übernommen hatten. Das Geheule war heftig und ich hätte es gut gefunden, darauf vorbereitet zu werden, dass so gut wie JEDES Gefühl EXTREM erlebt wird. Bei mir war es besonders die Angst. Bsp. Der erste Spaziergang (nach vier Tagen und bereits zuhause) dauerte sagenhafte 3 Minuten, da ich plötzlich überall „Gefahren“ sah und Angst hatte, dass uns was passieren könnte.“

Partnerschaft:

♥ „Ich hatte richtigem Liebeskummer, weil ich realisiert habe, dass da lange nicht mehr die Art von Zweisamkeit zwischen mir und meinem Mann sein wird, die wir gewohnt waren. Irgendwie krass. Aber es fühlte sich in dem ganzen emotionalen und hormonellen Wirrwarr so an, als würde ich meinen Mann verlieren.“

Neuer Alltag:

♥ „Was ich mir gewünscht hätte? Das mir jemand vom sogenannten CLUSTERFEEDING erzählt hätte … Das hat mich wahnsinnig angestrengt und total überrascht. Da wäre ich gern (mental) drauf vorbereitet gewesen!“

♥ „Es ist mir extrem schwer gefallen, mein Baby aus den Armen zu geben und gleichzeitig habe ich das als extrem strange empfunden. Muss man doch, dachte ich mir, weil die kommen doch alle extra, um das Baby zu sehen und zu knuddeln. Fürchterlich war das für mich. Beim nächsten Wochenbett, sollte es noch eines geben, wäre ich da selbstbewusster.“

Besucher:

♥ „Ich würde gerne allen Verwandten, Freunden und Bekannten sagen, dass die Eltern und zwar nur die Eltern entscheiden, ob sie Besuch möchten, und wenn ja, wer und welche Art von Besuch. Ich persönlich fand: Jeder, bei dem ich nicht entspannt oben ohne rumlaufen konnte, war für mich ein „Pflichtbesuch“ und in der Zeit eine Belastung. Und noch schlimmer, wenn Verwandte vorbeikommen, aber dann früher wieder gehen oder beleidigt sind, weil SIE nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Unmöglich so was.

Es kann die Anfangszeit echt erschweren, wenn man sich neben den eigenen Bedürfnissen, Schlafmangel, Findung in die neue Elternrolle, auch noch um die Bedürfnisse der Anderen Gedanken machen muss. (Damit man ja keinem auf dem Schlips tritt.)“

♥ „Es ist dein WochenBETT. Nicht dein Schwiegerelternbekochen.“

♥ „Schone dich unbedingt! Ich empfand Besuch als stressig und hatte deshalb am Anfang dreimal eine Brustentzündung. Auch zur Schwiegermama sage ich beim zweiten Wochenbett öfter nein.“

♥ „Wenn du nicht bereit bist, Besuch zu empfangen, dann sag es. Du darfst nein sagen, es geht im Wochenbett um dich, dein Wohlbefinden und das Baby. Du darfst weinen, so viel du willst, du darfst Angst haben. Du darfst einfach alles fühlen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.“

Hast du auch noch Tipps für Schwangere und Neumamas? Dann ab damit in die Kommentare.

Ich wünsche dir ein schönes Wochenbett. Du bist die beste Mama aller Zeiten. Auch ohne Erfahrung. Auch mit Fehlern. Auch im Schlabberlook. Was dein Baby will? Dich. Mehr nicht.

Alles Liebe

Anne

PS: Ist deine Freundin, Frau, Schwester … gerade schwanger? Oder gerade mitten im Wochenbett? Leite ihr doch den Artikel weiter. Vielleicht macht er sie stärker und selbstbewusster. Denn: alles normal. ♥

Literaturtipps und -quellen:

Ich lade dich herzlich ein, diese Gedanken zu teilen.

Babyblues, Geburt als Mutter, Gefühle im Wochenbett, Gefühle nach der Geburt, Mama werden, postpartale Depression, Vorbereitung aufs Wochenbett, Wochenbett, Wochenbettdepression

Kommentare (12)

  • Großartig!!!! Du skizzierst hier ein ehrliches, authentisches und unverblümtes Bild vom Wochenbett! Die Zitate von Inga Erchova sind auch toll gewählt. Es stimmt, dass man sich irgendwo zwischen „plötzlich Mama“ und auf einmal wieder „kleines Kind“ befindet. Eine besondere und überaus turbulente Zeit, das Wochenbett! Und man sollte sich viel viel mehr – eigentlich ausschließlich – auf seine Intuition verlassen!!!! Leider ist die weibliche Intuition in unserer Gesellschaft sehr verschütt gegangen. Da haben wir vieles verlernt und sollten an uns arbeiten. Unsere Urinstinkte wieder hervorholen bzw wiedererwecken…

    Hach, Artikel wie diesen hätte ich sehr gebraucht!

    Mach weiter so!!!! Was du leistest ist enorm! Ich bin dir sehr dankbar für deine Arbeit!

  • Ich hätte mir gewünscht vor der Geburt mehr übers Stilen informiert worden zu sein. Weder im Geburtsvorbereitungs- noch im Babypflegekurs wurde dieses Thema richtig „angepackt“. Dabei ist es so Wichtig..!! Gerade der Aspekt ganz allein für die Ernährung und somit das Überleben meines Babys Verantwortlich zu sein hat mich am Anfang im Wochenbett unglaublich unter Druck gesetzt. Es wäre sicher hilfreich gewesen wenn ich mich damit schon vor der Geburt hätte auseinander setzen können.

    • Liebe Lui,
      mir ging es so ähnlich. Ich hab auch einen großen Druck gefühlt. Aber nicht wegen mangelnder Informationen vorher – ich war richtig gut belesen. Sondern weil verschiedene Hebammen und Ärzte mir widersprüchliche Ratschläge erteilt und mich schlecht unterstützt haben. Stillen ist ein weites Feld. Vielleicht schreibe ich dazu irgendwann auch mal einen Beitrag. Danke für die Inspiration und deinen Kommentar.
      LG Anne

  • Sicherlich sind solche Artikel vielleicht hilfreich aber müssen wir frischgebackenen oder werdenden Müttern so ein Angst machen? Es gibr Mütter ,Schwiegermütter ,Kinderärzte und Hebammen die hilfreich zur Seite stehen also bloß nicht so eine Panik

    • Hallo Antje,
      danke dass du deine Wahrnehmung hier teilst. Ich persönlich empfinde es nicht als Panikmache, aber das sieht eben jede anders und so sucht sich sicher auch jede (werdende) Mama die Informationen in den Weiten des Netzes, die zu ihr passen. 🙂
      Viele Grüße
      Anne

  • Eine gute Hebamme (bei Vorsorge und Geburtsvorbereitung) sagt einem solche Sachen. Zumindest ist das ihre Aufgabe.
    Bei beiden Kindern hatte ich tolle Hebammen, die mich ganz wunderbar auf ein Wochenbett vorbereitet haben; das dann gar nicht kam. Vielleicht bin ich auch einfach zu locker und entspannt in das alles reingegangen; mein Babyblues dauerte genau zehn Minuten, Stillen war zwar eine Katastrophe, aber da meine Kids sich auch prima mit der Flasche arrangiert haben, schnell vom Tisch.
    Wer sich gut informiert und nicht mit einer „oh-Gott-wie-solk-ich-das-bloß-allea-schaffen“-Einstellung ins Wochenbett geht, kommt da mMn ganz entspannt durch. Und vor allem: KEINE Geburtsberichte und KEINE Wochenbettberichte lesen, die einem sagen, was alles schief gehen kann. Davon kann man Albträume kriegen.

  • Wunderbar geschrieben. Ich habe gerade mein zweites Kind entbunden und bewusst auf Besuch verzichtet. Jeder bietet aktuell seine Hilfe an und das schätze ich wirklich sehr. Allerdings ist die neue „Familiensituation“ hier erst mal vorrangig. Morgen beginnt der Alltag und so richtig eingespielt sind wir noch nicht. Sehr emotional für jeden und neu von uns!!! Und ja, jeder möchte das Baby sehen …aber das wir erstmal Zeit für uns brauchen und eine Geburt einen als Frau auch körperlich fordert, reflektiert keiner bevor die Frage kommt: „wann kann man euch besuchen kommen“?! Und statt nur Baby Geschenke, schenkt der Mutter etwas schönes. Stillsaft, Obst, Tee, ein Stillkissen oder einfach nur Interesse bezüglich IHRES Wohlbefindens.

    Viele Grüße

  • Was für ein toller Artikel! Ich finde, dass es keine „Panik mache“ für werdende oder frisch gebackene Eltern ist. Das ist eben die Realität. Ich wünschte, dass ich diesen Artikel vor der Geburt meiner Tochter entdeckt hätte. Sachen wie Clusterfeeding hat mich total geschafft und verunsichert. Meine Hebamme hatte mich leider darauf nicht vorbereitet und stattdessen gemeint, ich soll weniger stillen. Heute weiß ich, dass es sowas wie mütterliche Instinkte und Intuition gibt und ich sie habe. Und ganz wichtig: mit Geduld und Zeit wird es wirklich besser. Die Liebe zu meinem Kind war aber sofort da. Wahrscheinlich weil meine Geburt ziemlich turbulent war und es in den Sternen stand, ob meine Tochter die Geburt überlebt. Ich habe auch bewusst vor der Geburt gesagt, dass ich erst ein Mal keinen Besuch möchte und es wurde auch respektiert. Aber nach wie vor macht mein Schwiegermonster mir das Leben zur Hölle.
    Die Gesellschaft braucht mehr Artikel wie diese, um wieder das Bewusstsein für Gefühle und dessen Normalität zu erlangen. Danke dafür ♥️

  • Mein erstes Wochenbett war wunderbar. Ich war da in einer richtigen Blase mit meiner Tochter und meinem Mann. Vor Glück richtig beflügelt. Besuch gut verteilt und immer nur kurz, die eher uns versorgt haben, als wir sie.
    Aber das zweite war einfach alles andere. Mir kommt es so vor, dass ich da alle Fehler nachgeholt habe. Fühlte mich total unvorbereitet und allein und hin und hergerissen zwischen alle Verpflichtungen und meinen eigenen Bedürfnissen. Jetzt 2 Jahre später, merke ich wie mich diese Zeit aufgefressen hat und ich allein da nicht rauskomme. Ich fühlte mich einfach nicht bereit und schlecht vorbereitet eine 2fache Mutter zu sein. Verzichten würde ich trotzdem nicht, aber ich will endlich wieder das Glück spüren, wie damals.

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Ich bin Anne, leidenschaftliche Schreiberin und immerfort lernende Mutter zweier Kinder. Süchtig nach anspruchsvollen Büchern und mit einer Schwäche für ausgezeichneten Schwarztee. Auf meinem Blog WELTFREMD setze ich mich seit 2019 für friedvoll-authentische Elternschaft ein und kläre über Entwicklungstrauma auf. ♥

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